Last updated on 18. April 2023
Christoph Matthias (Jahrgang 1991) ist seit März 2022 “Head of Anbau” bei einer solidarischen Landwirtschaft in Welte. Der gebürtige Thüringer besucht nebenbei die Meisterschule für 2 Jahre in Kleve.
Ein Jahr SoLaWi „Crowdsalat“ – was war die größte Überraschung und was die größte Herausforderung für dich persönlich?
Die größte Überraschung war, dass es gleich so gut funktioniert hat. Ich habe mir viele Gedanken über die Anbaumenge gemacht. Habe ich zu viel oder zu wenig geplant? Am Ende hat alles gepasst und das war wirklich eine Überraschung für mich. Jetzt stehe ich natürlich ein bisschen unter Druck und frage mich, wie wir das dieses Jahr wieder so gut hinbekommen.
Die größte Herausforderung für mich persönlich war zum einen der Wechsel zwischen Schule und Hof. Ich mache die SoLaWi ja nebenberuflich und bin gerade auf der Meisterschule. Da war es manchmal schwierig, aus der Ferne Diagnosen zu stellen oder Entscheidungen zu treffen. Gerade, wenn man in der Landwirtschaft arbeitet, kann man keine pauschalen Aussagen treffen. Man schaut einfach und entscheidet dann. Da habe ich mich schwergetan.
>> Was ist eigentlich eine Solidarische Landwirtschaft? <<
Hast du eine gewisse Verantwortung gegenüber den Mitglieder:innen gespürt? Immerhin stehen dort 60 – 80 Ernteanteile.
Wir haben eine tolle Gemeinschaft hinter uns. Die Erwartungen sind vielleicht bei dem einen höher, bei dem anderen niedriger. Ich hatte aber immer das Gefühl, dass die Gemeinschaft voll dahintersteht. Auch wenn es mal nicht so gut lief. Es war eben die erste Saison. Da ist nicht so viel Druck dahinter, als wenn ich für einen Bioladen oder den Handel produziere. Ich war also die meiste Zeit relativ entspannt.
Das Feld, auf dem Kartoffeln & Co. wachsen, war vorher ein Getreidefeld. Dann kam die SoLaWi und hat angefangen, darauf Gemüse anzubauen. Wie kann ich mir das vorstellen – was braucht es für einen solchen Wechsel?
Wir haben am Anfang eine Bodenprobe gemacht, um zu sehen, wie dieser beschaffen ist. Die Probe war schon relativ gut. Dann haben wir vor Ort noch einmal mit Spatenproben geschaut, wie der Boden aufgebaut ist. Hier geht es darum, zu erkennen, wie ich mit dem Boden umgehen muss. Bei einem sandigen Standort kann ich früher und leichter mit der Arbeit beginnen, aber er hält nicht so viel Wasser. Ein lehmiger Standort hingegen kann viel Wasser speichern, ist aber ständig nass und kalt. Im März 2022 war es schon warm und trocken und wir konnten anfangen.
Das Münsterland ist eine Veredelungs-Region: Mehr als 17 000 der gut 23 000 landwirtschaftlichen Betriebe verdienen ihr Geld mit der Tierhaltung. Oft bekommt man zu hören, der Boden sei für Gemüseanbau zu schlecht in dieser Region. Was denkst du?
In Welte haben wir einen guten Boden. Einen sehr schönen Lehmboden, der sowohl sandige als auch lehmige Anteile hat. Ich habe aber auch schon gehört, dass wir in Welte und auch in Merfeld für diese Region sehr guten Boden haben. Aber tendenziell sind die Böden hier eher sandig. Und ja, dann wird es mit dem Gemüse auch schwierig, weil man dann sehr ins Bewässern gehen muss.
Bei sandigen Böden sind Getreidekulturen besser geeignet. Das kann man bereits im Winter säen und dann die Winterfeuchtigkeit nutzen. Das Getreide beschattet dann im Frühjahr den Boden, damit das Wasser langsamer verdunstet. Mit der Bodenbearbeitung im Gemüsebau würde ich dann erst anfangen.
Das gilt aber vor allem für die großen Gemüsebaubetriebe. So wie wir es in Welte machen – nach dem Marktgartensystem ohne Maschinen und mit Kompost – ist der Boden gut geeignet. Damit verbessern wir den Boden. Das Potenzial ist also vorhanden.
Produziert ihr rein Bio?
Ja. Wir sind allerdings im Moment noch nicht Demeter-zertifiziert, weil die Produkte noch einen Rest von konventionellem Anbau aufweisen.
Gibt oder sollte es ein Zusammenspiel zwischen beiden Betriebsarten geben?
Der Gemüsebau im großen Stil ist per se sehr Bodenabbauend. Hier gibt es einen hohen Nährstoffentzug, den man als reiner Gartenbaubetrieb gar nicht so einfach wieder auffüllen kann. Deswegen arbeiten viele mit tierhaltenden Betrieben zusammen. Hier sind vor allem Rinderbetriebe wertvoll, weil die einen Festmist haben, der für die Böden eines Gartenbaubetriebes sehr gut ist. Das ist eine relative langfristige Ernährung für den Boden, anders als die Gülle von Schweinen.
Was bedeutet „Enkeltaugliche“ Landwirtschaft für dich persönlich?
Für mich persönlich bedeutet es, die Landwirtschaft so zu gestalten, dass auch meine Kinder und Enkelkinder noch Lust auf die Arbeit in der Landwirtschaft haben. Mehr zurück zum Ursprung, wo Landwirtschaft herkommt und weg vom “immer größer werden müssen”. Landwirtschaft ist nicht nur ein reiner Produktionsfaktor, sondern eigentlich eine gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung. Wir betreiben in der Landwirtschaft auch Landschaftspflege und Naturschutz. Das darf man nicht trennen.
Es ist nicht so, dass auf der einen Seite die Naturschützer stehen und auf der anderen Seite wir Landwirte.
Ich glaube, es muss mehr verinnerlicht werden, dass beides nur zusammen geht. Das gehört auch zusammen.
Die Landwirtschaft muss auch wieder regionaler werden, denn nur dann erhalte ich die Wertschätzung. Dann habe ich auch die Freude, die Lebensmittel zu produzieren. Dann weiß ich, wer sie bekommt. Auch für den Biogroßhandel würde ich zum Beispiel Brokkoli produzieren und an den Bodensee bringen und die Ware kann nach zwei Tagen wieder zurückkommen, weil einige Brokkoli schwarze Stellen haben und die ganze Charge reklamiert wird. Da verliert man einfach die Freude und wird auch noch dazu gedrängt, mehr und intensiver zu produzieren. Denn nur so können solche Ausfälle kompensiert werden.
Was heißt für dich regional? Sind das 150 km oder deutschlandweit? Wie machst du da Unterschiede?
Für mich gilt die Faustregel: Desto frischer es ist, desto regionaler sollte es sein.
Dadurch kann ich wesentlich mehr Transportwege vermeiden. Ich trinke zum Beispiel gerne Kaffee. Das ist ein trockenes Produkt und daher lange haltbar. Er muss theoretisch nur einmal im Jahr transportiert werden. Eine Orange oder eine Banane muss dagegen schnell transportiert werden.
Wir können nicht alles vor der Haustür produzieren. Das muss klar sein. Und wie vorhin schon erklärt, ist das aufgrund der Bodenbeschaffenheit auch nicht immer möglich. So ist der globale Welthandel entstanden. Man hat zum Beispiel entdeckt, dass man in der Ukraine auf den Schwarzerdeböden einfach viel mehr Weizen anbauen kann als jetzt bei uns in Brandenburg in der Uckermark. Dort sind die Böden sandig und trocken.
Das heißt aber nicht, dass man in der Uckermark keine Landwirtschaft betreiben kann. Die Frage ist nur: Wie konkurrieren wir miteinander? Der eine Landwirt in der Uckermark hat vielleicht 20 Milchkühe auf trockenem Boden und 20 Hektar Grünland. Der muss sich dann auf dem Markt behaupten gegen Landwirte, die in Bayern saftige Wiesen haben und deren Kühe einfach mehr Ertrag bringen.
Aber ich glaube schon, dass wir wieder eine Verhältnismäßigkeit sehen sollten. Wann ist wie viel davon da? Wenn ich davon ausgehe, dass immer alles da sein muss, dann nimmt das irgendwie den Reiz des Ganzen.
Was können Gemüsebauern von einer solidarischen Landwirtschaft lernen?
Der Vermarktungsweg. Irgendwann stumpft man wahrscheinlich auch ab, wenn man viel Gemüse anbaut. Da verwundert es einen vielleicht nicht mehr, wenn der LKW mit den Brokkoli wieder zurückkommt. Aber trotzdem kann einen das ja irgendwie nicht befriedigen.
Wenn ich die Produkte selber vermarkte, habe ich einen wesentlich direkteren und intensiveren Kontakt zu meinen Kunden. Da geht es dann auch nicht nur um den günstigsten Preis, sondern auch viel um Wertschätzung.
Christoph Tipp für einen Gemüseeinkauf
- Werde Teil einer SoLaWi, wenn du kannst. Denn hier weißt du, was woher kommt.
2. Kaufe regional: Hofläden, Kartoffelautomaten oder das Eiermobil. Auch in unserer Region gibt es viele kleinbäuerliche Strukturen, die man unterstützen kann. Dabei ist es egal, ob Bio oder konventionell.
3. Informiere dich: Woher kommt das Produkt? Welches Siegel ist auf dem Produkt?
Landwirtschaft der Zukunft – wie kann diese innerhalb der planetaren Grenzen aussehen?
Die größten Probleme sind Stickstoff und Phosphor. Diese Herausforderungen kann man heute schon gut mit der ackerbaulichen Praxis lösen. In der Bodenstruktur kann man vieles korrigieren. Aber die Landwirtschaft der Zukunft muss mit einer deutlichen Reduzierung der Tierbestände einhergehen. Nur so entstehen die enormen Stickstoffüberschüsse. Aber nein – wir können keine “vegane” Landwirtschaft machen. Sie ist durch den Einsatz von Maschinen deutlich energieintensiver.
>> Weitere Informationen zur SoLaWi Crowdsalat <<
Im Sinne der Biodiversität müssen wir aber einen kompletten Umbau der Flächenstrukturen hinbekommen. Weg von der Flächenzusammenlegung hin zu mehr kleinräumigen Strukturen. Weg von der Riesenfläche mit Riesenmaschinen hin zu kleineren Strukturen. Damit lösen wir auch viele Probleme, wie zum Beispiel die Grundwasserneubildung. Das ist meiner Meinung nach die einzige Chance, die wir haben.
Alles, was mit technischen Innovationen zu tun hat – wie zum Beispiel CO abscheiden und in irgendwelche technischen Bunker unter der Erde packen – das ist keine Lösung. Das ist Symptombekämpfung.
Ich glaube, wir werden nicht darum herumkommen, dass wieder mehr Menschen in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Aber ich glaube auch, dass sich das Image ändern wird. Auch Büromenschen brauchen einen Ausgleich. Eine Mischung aus Bürojob und landwirtschaftlicher Tätigkeit wie in einer SoLaWi könnte beiden Seiten helfen.
Das meiste scheitert einfach an der Wirtschaftlichkeit. Wir müssen einfach wieder dahin kommen, dass Landwirtschaft auch wieder wirtschaftlich ist.
Danke für das tolle informaive Interview!
Hallo Ines, danke für dein Feedback. Freut uns sehr, dass dir das Interview einen kleinen Einblick geben konnte =)