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Britt, wie geht es euch nach der Flutkatastrophe von Heppingen?

Last updated on 16. Oktober 2022

Britt Kassel (Jahrgang 1988) wohnte mit ihrer Familie in Heppingen, Ahrtal. Zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe 2021 lebte die Familie in einer Mietwohnung in dem Neubaugebiet, in dem Coesfeld for Future zur akuten Hilfe direkt nach der Katastrophe fuhr. Die gelernte Kauffrau im Einzelhandel malt gerne oder verbringt Zeit in ihrem Garten. Auf ihrem Nachttisch, der die Flut unbeschadet überlebte, liegt das Buch „Das Orchideenhaus“ von Lucienda Riley. Seit der Flutkatastrophe kann sie nur noch „leichte Kost“ lesen.

Britt, am 15. Juli des vergangenen Jahres veränderte sich euer Leben über Nacht, denn ihr seid von der großen Flutkatastrophe betroffen gewesen. Wie habt ihr diese Nacht erlebt?

Gott sei dank waren wir in dieser Nacht nicht in unserem Haus. Wir waren in unserer alten Heimat, weil ein Freund dort seine Hochzeit gefeiert hat. Wir sind gegen 14 Uhr aus dem Ahrtal losgefahren und ja, es hat in dem Moment geregnet. In der Situation war das aber nicht abzusehen. Wir hatten vorher die Nachrichten auch gelesen. Zwei Tage vorher wurde bereits gewarnt, nach dem Motto: „Ah, es könnte Hochwasser geben“. Niemand hat aber richtige Sicherheitsvorkehrungen getroffen – weder wir, noch unsere Freunde. Einfach, weil es so nicht direkt gesagt wurde. Bereits Wochen vorher gab es Panikmache: Wetterberichte, mit lila Warnstufe, wo am Ende nur leichter Regenschauer kam. Das hat definitiv dazu geführt, dass wir genau diesen Wetterbericht 1-2 Tage vorher nicht Ernst genommen haben. So sind wir also dann an diesem Tage gefahren. Gott sei Dank! Die Nacht selber war… die schlimmste Nacht in meinem Leben? Unsere Freunde haben gegen 22:00 Uhr geschrieben, dass die Feuerwehr rumgefahren ist und mit Lautsprecherdurchsagen, allerdings nicht in allen Straßen und auch nicht in allen Straßen in unserem Neubaugebiet, gewarnt hat. Es hieß, man soll neben der Ahr, so circa 50 Meter daneben, die Häuser räumen. Aber wir haben wesentlich weiter weg von der Ahr gewohnt.

Ich habe sie schreien gehört und dann war die Verbindung weg!

Das Chaos, nachdem das Wasser wieder gewichen war.

Während der Hochzeitsfeier habe ich diesen und viele andere Chatverläufe verfolgt und wurde immer unruhiger und nervöser. Ich konnte das irgendwann nicht mehr ertragen, auf dieser Feier zu sein und bin dann zu unserer Unterkunft gefahren. Ich bin zu meiner kleinen Tochter ins Bett geschlüpft, wir haben uns dort ein Bett geteilt, und habe mit meiner Freundin geschrieben, die in ihrem Haus war. Und hab dann auch mit ihr telefoniert. Die haben so Dinge gemacht, die man halt so macht, wenn man davon ausgeht, dass etwas mehr Wasser kommt: Stühle hochstellen, Spielsachen auf die Arbeitsplatte gelegt. Alles mit einem mulmigen Gefühl. Dann haben wir telefoniert, als das Wasser die Haustür und die Fensterscheiben eingeschlagen hat.  Ich hab das gehört. Ich habe sie schreien gehört und dann war die Verbindung weg! Meine Tochter neben mir ist dann auch wachgeworden. Das war wirklich unglaublich schrecklich.

Ich habe dann meinen Mann angerufen und gesagt, er soll sofort zu uns in die Unterkunft kommen. Ich wollte natürlich direkt nach Hause fahren, aber mein Schwiegervater ist Notfallmanager und sagte nur: „Ihr werdet nicht durchkommen. Fahrt jetzt nicht.“ Da war an Schlaf nicht mehr zu denken. Das war wirklich ganz ganz schrecklich.

Vor rund vier Jahren vor der Katastrophe ist das Wohngebiet erst entstanden, in dem besonders viele junge Familien ihren Traum vom Haus verwirklicht haben. Danach wurde auch innerhalb der Politik diskutiert, ob dieses Baugebiet überhaupt entstehen durfte (Quelle). Was macht das mit den Menschen dort? Bauen die meisten Familien wieder auf oder sind sie weggezogen?

Das Wasser stieg bei Familie Kassel bis zur Mitte der Fenster, was die Markierung deutlich macht.

Tja, was macht das mit den Menschen dort… das wirft natürlich viele Fragen auf. Viele aus dem Baugebiet sind verunsichert. Die Menschen dort haben die schlimmste Nacht an ihrem eigenen Leib erlebt und in unserer direkten Nachbarschaft gab es auch mehrere Todesfälle durch die Flut. Es ist eine absolute Schockstarre gewesen. Die Leute wurden gerettet und sind aus den Häusern rausgekommen und wollten auch erst einmal gar nicht wieder zum Ort des Geschehens zurück. Das war natürlich ein Schock, ein absolutes Trauma.

„Du warst froh, dass du hier endlich was bekommen hast und dann wird dein Traumhaus einfach so zerstört“

Viele haben ihre Häuser verkauft. Direkt. Viele haben direkt alles rausgerissen und neu aufzubauen. Aber… eigentlich hat das gedauert, bis man diese Entscheidung so überhaupt treffen konnte. Der Wohnraum war hier vorher schon unglaublich teuer und knapp. Viele hatten gar keine andere Möglichkeit als den Wiederaufbau. Du warst froh, dass du hier endlich was bekommen hast und dann wird dein Traumhaus einfach so zerstört und jetzt hast du keine Chance, außer Wiederaufbau, weiter wegzuziehen oder in eine Wohnung zu ziehen. Und da gibt’s ganz unterschiedliche Auffassungen. Manche Freundinnen sind weggezogen. Andere haben gesagt: „Das ist unser Traumhaus. Wir würden niemals wegziehen. Das wird schon wieder!“

Auch die Wohnung, welches ihr nach der Katastrophe kurzfristig beziehen konntet, lag an einem Fluss. Wie habt ihr euch damit gefühlt und wie geht ihr jetzt mit Warnmeldungen über Extremwetterereignisse um?

Die Ferienwohnung, in der wir in Nierendorf zeitweise leben durften, war eine Kellerwohnung an einem Fluss, der schon einmal überflutet war. Das ist ja hier einfach ein sehr krasses Überflutungsgebiet unten am Fluss. Dann hat man hier ein Vorstaubecken oder sowas Ähnliches angelegt. An diesem Becken ist eine Klappe als Warnsignal dran, die wie so eine Art Sirene angeht, wenn die Klappe nicht dicht ist. Das hat mich dann schon sicherer fühlen werden lassen. Aber in der ersten Nacht in der Wohnung habe ich kaum ein Auge zugemacht.

„Mama, passiert das jetzt noch einmal?“

Es hat natürlich noch geregnet in der ersten Nacht nach der Katastrophe. Ich lag mit meiner Tochter im Bett und sie sagte nur, als der Regen stärker wurde, „Mama, passiert das jetzt noch einmal?“ Dann war auch noch ein Feuerwehreinsatz, wo die Sirenen gegangen sind. Da war es bei mir auch vorbei. Ich hatte einfach nur Angst, was man sachlich betrachtet auch gar nicht definieren konnte. Du lernst einfach mit dieser Angst zu leben und dein eigenes Trauma zu akzeptieren. Das ist aber schon ein krasser Schritt. Aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Vom Klima wird das ja alles noch krasser. Im Ahrtal wird natürlich auch jetzt noch immer wieder stark gewarnt, sodass der Bürgermeister mittlerweile auch dabei sagt, dass man nicht in den Keller gehen soll. Da sind viele Menschen bei der Flut gestorben. Damit umzugehen ist sehr schwer. Am Anfang hatte ich richtige Panik, aber es wird besser. Man muss aber damit rechnen, dass das wieder kommen wird. Das weiß auch jeder. Alle hoffen einfach, dass der Zeitpunkt erst in ein paar Jahren sein wird.

Unser neues, eigenes Haus steht am Berg. Eigentlich kann hier nix passieren. Aber als wir dann im November aus der kleinen Wohnung vom Fluss hier hochgezogen sind, da muss ich wirklich sagen, da hatte ich schwer mit mir zu kämpfen, als dort der erste Sturm kam.

Heppingen und das Ahrtal befinden sich noch immer mitten im Wiederaufbau. Wie weit ist dieser in dem Wohngebiet und in Heppingen allgemein? Sieht der Wiederaufbau anders aus?

Nach der Katastrophe kam ein Gutachter und Sachverständiger. Viele Häuser, wie z.B. Holzständerbauart mussten abgerissen werden, weil sie einfach nicht mehr stabil waren. Da wurde dann ausgerechnet, wie viel Zentimeter höher das neue Haus gebaut werden muss. Freunde von uns müssen jetzt 76 cm höher bauen. Die bauen ihr neues Holzständerhaus jetzt auf Pfeilern. Das wird natürlich das gesamte Wohngebiet verändern. Zum einen von der Optik, weil nun neu gebaute Häuser höher stehen. Zum anderen aber auch vom Gefühl. Das ist einfach kein schönes Gefühl, die können nun direkt bei dir reinschauen, weil sie höher liegen. Am Anfang haben einige sich natürlich gefreut, dass sie nicht abreißen müssen. Und dann auf einmal hast du immer noch deinen bodentiefen Eingang und deine Nachbarn hinter dir liegen fast 80 cm höher. Was macht das wohl mit einem?

Die Küche von Familie Kassel, nachdem die Familie das Haus wieder betreten durfte.

Wir werden uns in den kommenden Jahren sehr stark an Extremwetterereignisse wie Hitzeperioden oder solche Überschwemmungen gewöhnen müssen. Was sind eure persönlichen  „Sicherheitsmaßnahmen“ und was wünscht ihr euch von der Politik?

Seit der Flutkatastrophe besitzen wir ein Notstromaggregat, welches mit Benzin betrieben werden kann und wasserfeste Taschenlampen. Dazu haben wir aufgeladene Powerbanks, Streichhölzer und Kerzen zusätzlich gekauft, die immer an einem bestimmten Platz im Haus sind. Für den Fall der Fälle. Nach der Flutkatastrophe kam bei vielen auch das böse Erwachen, was Versicherungen betrifft. Es gibt mehrere Arten in diesem Bereich: Einmal Starkregen und einmal Hochwasser.

Das mag im ersten Moment lustig klingen, aber wir haben uns jetzt gegen Vulkanausbrüchen versichert. Wir wohnen ja in der Vulkaneifel. Es scheint nichts mehr unwahrscheinlich zu sein seit der Flut. Alle wichtigen Dokumente liegen nun nicht mehr im Erdgeschoss, sondern in unserem neu angeschafften wasser-und feuerfesten Safe im oberen Stockwerk. Durch die Flut sind nämlich auch viele Erinnerungsstücke verloren gegangen, wie unsere Hochzeitsbilder, die eigentlich sogar in einer Cloud gespeichert waren.

Ach, das passiert uns nicht, gibt es nicht mehr.

Von der Politik wünsche ich mir, dass in leitenden Positionen mehr erfahrenes Personal steht, das unemotionaler mit dem Thema umgeht. Die das einfach besser einschätzen können und vielleicht einfach sagen, dass man jetzt nicht eine deutschlandweite Warnung macht, sondern in den direkten Gebieten. Das Thema Sirenen ist auch wichtig. Die funktionieren ja gar nicht überall. Wir brauchen keine Panikmache, sondern das Gefühl, dass wir von der Politik aufgefangen werden. Nicht, damit die Warnungen in den Medien toll aussehen und die Bildzeitung wieder tolle Tornado warnungen herausgeben kann. Das ist doch lächerlich.


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