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Wirtschaften mit Sozialverträglichkeit: Das neue Lieferkettengesetz

Last updated on 16. Oktober 2022

In den 1920er Jahre entstand hier bei uns im Westmünsterland, genauer gesagt im niederländisch-westfälischen Grenzraum zwischen Gronau und Bocholt, eines der bedeutendsten Textilzentren Europas. Durch anhaltende Konjunkturkrisen in Westfalen seit den 1960er Jahren ist die Branche jedoch deutlich geschrumpft. Die Produktion von Textilien und vor allem von Bekleidung wurde in den letzten Jahren zunehmend ins Ausland, nach Osteuropa und Asien, verlagert. [1] Wieso ist es wichtig, zu wissen, woher unsere Produkte kommen und wie können wir Einfluss auf die Produktionsorte weit entfernt von uns nehmen? Darüber soll es in diesem Artikel gehen.

Definition Lieferkettengesetz: Eigentlich heißt es „Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz“ kurz: LkSG. Das Gesetz dient zur Einhaltung der Menschenrechte innerhalb globaler Lieferketten.

Deswegen müssen wir darüber sprechen

Unsere Welt ist heute von einem umfassenden Handelsnetzwerk verbunden. Sinkende Transportkosten und Fortschritte in der Kommunikation haben diese Globalisierung der Wirtschaft vorangetrieben. Als Folge haben sich die Länge und die Komplexität der Lieferketten in den letzten Jahrzehnten erheblich erhöht. Immer mehr Länder wurden in die Weltwirtschaft einbezogen.

Dieser Globalisierungsprozess trägt neben einem großen Entwicklungsbeitrag zugleich zu negativen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt in nahezu jeden Winkel der Erde bei. Denn die politische und zivilgesellschaftliche Entwicklung kann mit dem Tempo der wirtschaftlichen Integration vielfach nicht mitgehalten.

Dabei arbeiten auch über 79 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen in Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Kaffeeplantagen. Weiterhin leben Millionen Menschen weltweit in Elend und Not, weil soziale Mindeststandards missachtet werden. Viele Entwicklungs- oder Schwellenländer, in denen multinationale Unternehmen tätig sind, haben kaum Rechtssysteme und fragile Zivilgesellschaften. Der Kostendruck kann in einem hart umkämpften Wettbewerbsumfeld dazu führen, dass Gesetzeslücken in Bezug auf Menschenrecht und Umweltstandards – bewusst oder unbewusst – ausgenutzt werden.[2]

Was ist Ziel des Gesetzes?

Der Bundestag hat im Juni 2021 das Gesetz über die unternehmerische Sorgfaltspflicht in Lieferketten verabschiedet. Ziel ist es, den Schutz von Menschenrechten innerhalb globaler Lieferketten zu verbessern. Dabei geht es primär um die Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards wie einem Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit. Mit dem Gesetz werden klare Anforderungen an Unternehmen festgelegt und somit auch Rechtssicherheit für Betroffene geschaffen.[3]

Einfach erklärt: Ein Gesetz für faire Lieferketten – was ist das eigentlich? (Quelle: B

Rund ums Lieferkettengesetz – das Wichtigste in Kürze:

  • Ein Produkt wie z.B. ein T-Shirt oder ein Smartphone, dass bei uns im Handel landet, durchläuft mehrere Herstellungsschritte, an denen diverse Arbeitskräfte beteiligt sind
  • Bislang spielten die Arbeitsbedingungen der Zulieferer für deutsche Unternehmen kaum eine Rolle. Laut UNICEF arbeiten fast 80 Millionen Kinder unter teils lebensgefährlichen Umständen
  • Lobbygruppen der Wirtschaft haben sich lange gegen ein Lieferkettengesetz gewehrt, da es unmöglich sei jede Anfertigungsphase zu kontrollieren[4]
  • Mit dem Lieferkettengesetz sollen nun ansässige Unternehmen, prüfen und dokumentieren, inwieweit sich die Tätigkeiten entlang ihrer Wertschöpfungskette nachteilig auf die Menschenrechte auswirken. Ist dies der Fall, sind sie verpflichtet, angemessene Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe zu ergreifen[5]
  • Die Sorgfaltspflicht müssen durch die Unternehmen in ihrem eigenen Geschäftsbereich sowie gegenüber ihren unmittelbaren Zulieferern eingehalten werden[6]
  • Kommen Unternehmen ihren Pflichten nicht nach, drohen Bußgelder und Sanktionen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ist mit Kontrollbefugnissen ausgestattet, um das Lieferkettenmanagement von Unternehmen zu überwachen.[7] 

Welche Unternehmen sind betroffen?

Das Lieferkettengesetz tritt am 1. Januar 2023 für Unternehmen in Deutschland in Kraft. Momentan streitet sich die Koalition darüber, ob das für 2023 geplante Lieferkettengesetz um ein Jahr verschoben wird. FDP sieht eine Belastung für Unternehmen in einer bereits krisenreichen Zeit. Die Grüne und SPD halten dagegen und bewerten die Einhaltung von Menschenrechten als keine zusätzliche Belastung. Dann müssen Unternehmen, die mindestens 3000 Arbeitende im Inland beschäftigen, und ihre Lieferanten verpflichtend um die Einhaltung von Menschenrechten Sorge tragen. Ab 2024 gilt dies für Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten.[8]

Und Jetzt?

EU- Lieferkettengesetz

Ein Entwurf zu geplanten EU-Richtlinien für Lieferketten liegt bereits vor und ist deutlich strenger: 

  • Die EU sieht vor, dass Unternehmen die komplette Lieferkette prüfen müssen, das deutsche Gesetz betrifft momentan nur direkte Zuliefernde.
  • Das Gesetz zielt auf Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeiter:innen. Für Branchen  mit einem höheren Missbrauchsrisiko (z.B. Textil, Landwirtschaft oder Bergbau) zieht die EU bereits bei 250 Mitarbeiternden die Grenze.
  • Eine zivilrechtliche Haftung wird vorgesehen. Damit können europäische Unternehmen für Missstände entlang ihrer Lieferkette verklagt werden. Das nationale Gesetz beließ es bei Bußgeldern.
  • Auch Umweltschäden sind im EU-Vorschlag stärker berücksichtigt worden.

Noch handelt es sich bei dem EU-Lieferkettengesetz um einen Entwurf. Daher ist noch abzuwarten, ob das geplante Gesetz europaweit verbindlich wird.[10]

Kritik am nationalen Gesetz

Im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in den Lieferketten sind wir noch lange nicht am Ziel, aber mit dem neuen Gesetz sind wir endlich am Start.

Initiative Lieferkettengesetz

Für die Intitiave Liefekettengesetz zeigt das Gesetz noch einige Schwachstellen auf. Das Gesetz berücksichtige Umweltaspekte nur marginal: massive Umweltzerstörungen durch Biodiversitätsverlust werden nicht erfasst, auch das Klima finde keine Berücksichtigung als Schutzgut. Geschlechtergerechtigkeit und geschlechtsbezogene Gewalt sind nicht als Verbotstatbestand aufgeführt. Neben vielen weiteren Schwachstellen sei auch die Anzahl der erfassten Unternehmen viel zu gering. Darüber hinaus wünschen sie sich Ausbesserung in einem geplanten EU-Lieferkettengesetz.[9]

Welche Chancen für Unternehmen bietet das Lieferkettengesetz?

Der Faire Handel stellt seit über 50 Jahren unter Beweis, dass es möglich ist sozial und ökologisch nachhaltig zu wirtschaften.[11] Nachhaltigkeit zu etablieren und eine nahe Zusammenarbeit mit Zulieferern zu schaffen, bietet große Wettbewerbsvorteile. Auch Investor:innen und Kund:innen berücksichtigen zunehmend Umwelt und Menschenrechtsaspekte bei ihrem Kauf. Die Politik stellt 2023 durch das Lieferkettengesetz ein eindeutiges Zeichen, nämlich, dass es sich lohnt eine klima- und sozialkompatible Geschäftstätigkeit zu gestalten.[12]

Welche Auswirkungen hat das Lieferkettengesetz auf uns Konsument/-innen?

Eins ist klar, das Lieferkettengesetz wird Unternehmen vorerst mehr Geld kosten: Es muss eine höhere Arbeitssicherheit und Umweltschutz sichergestellt werden. Neben bürokratischen Mehraufwand müssen auch Analysen und Berichte bezahlt werden. Im Umkehrschluss bedeutet das für den Konsumierenden, dass die Kosten auf unseren Einkauf umgewälzt werden. Besonders bei Produkten wie Leder oder Textilien können wir mit Preissteigerungen rechnen. Allerdings können wir dann natürlich auch mit besserem Gewissen konsumieren.[13]

Wie wäre es, wenn Produkte den Preis tragen, den sie auch wirklich kosten? Und Menschen das bekommen, was sie auch wirklich für ihre Arbeit verdienen? Es wäre ein erster Schritt zu ehrlicheren Preisen, zu fairen Arbeitsbedingungen und zu einer nachhaltigen Zukunft.

Coesfeld for Future


2 Kommentare

  1. Liebe Anita, drei Kinder sind wundervoll und mutig. Ohne soziale Gerechtigkeit wird unser System vor die Wand fahren. Von den realen Parteien ist nichts zu erwarten. Also danke dir, dass du Bewegung von unten einforderst. Zu der auf Ausgleich ausgerichteten Politik muss die Umwelt- und Klimaverträglichkeit kommen. Außerdem müssen Verhandlungen zu einem dauerhaften Frieden führen. Mit Krieg und Waffen ist das nicht zu schaffen. Leider entfernen sich die GRÜNEN immer mehr von all diesen Zielen, die für unsere sechs Kinder und meine vier Enkel so überlebensnotwendig sind. Bemühen wir uns gemeinsam! Liebe Grüße von Bernd und danke für dein Engagement!

    • Anita Anita

      Hallo Bernd,
      danke für deine Nachricht.
      Viele Grüße,
      Anita

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