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Anke Oxenfarth, wie nachhaltig kann ein Verlag sein?

Last updated on 25. Mai 2023

Anke Oxenfarth (Jahrgang 1968) hat bereits während ihres Volontariats den Weg zum Oekom Verlag gefunden. Inzwischen ist sie nicht nur Chefredakteurin der Zeitschrift „Politische Ökologie“, sondern seit 2011 auch als Leiterin der Stabstelle Nachhaltigkeit des Unternehmens tätig, die direkt der Geschäftsführung unterstellt ist. Auf ihrem Nachttisch liegt aktuell das Buch von Martin Suter: „Die dunkle Seite des Mondes.“  

Anke Oxenfarth, unsere Crowd auf Instagram war sich nicht einig: E-book Reader oder gedrucktes Buch – was ist ökologisch nachhaltiger?  

Eine einfache Antwort gibt es nicht. Es ist wie in allen Bereichen der Nachhaltigkeit – es gibt selten eine ganz klare Antwort.  

Es gibt Studien vom Öko-Institut, die sagen, dass – wenn man Vielleser:in ist und mehr als 20 Bücher im Jahr liest, die ungefähr 250 Seiten haben – ein digitales Lesegerät ökologisch sinnvoller ist. Aber nur, wenn man dieses Endgerät auch anderweitig nutzt, also zum Beispiel ein Tablet. Voraussetzung ist aber auch, dass das Endgerät nicht alle zwei Jahre neu angeschafft wird.   

Beim Thema Nachhaltigkeit von einem E-Book Reader gibt es keine einfache Antwort.

Aber die Beantwortung dieser Frage ist durchaus methodisch schwierig, auch wenn ich finde, dass das Öko-Institut hier eine gute Arbeit geleistet hat. Denn die Frage ist immer: Wo fangen wir mit der Berechnung an? Bei den Rohstoffen – dann stellt sich beispielsweise auch die Frage nach den sozial-ökologischen Konsequenzen beim Abbau der Rohstoffe. Oder fangen wir erst an, wenn das Produkt schon da ist und es nur noch um die reine Nutzung geht? 

Papier – der Grundstoff jedes Buches und gleichzeitig eine langsam nachwachsende, lebenswichtigen Ressource. Woher beziehen sie ihre Rohstoffe?  

Da wir ein relativ kleiner Verlag sind, können wir nicht wie große Verlage bei Papierfabriken auf Vorrat kaufen und uns dann die Papierrollen irgendwo hinstellen bis wir sie brauchen. Wir arbeiten daher mit Siegeln, insbesondere mit dem UZ 195, dem Blauen Engel Druckerzeugnisse, dessen Kriterien im von uns initiierten Projekt „Nachhaltig Publizieren“ (2011-2014) mitentwickelt wurden. Auch wenn nicht alle unsere Bücher damit zertifiziert sind, orientieren wir uns daran für die Ausstattung unserer Bücher und Zeitschriften. 

Der Oekom Verlag arbeitet mit Siegeln

Wir nutzen größtenteils Recyclingpapier für unsere Printpublikationen, um Ressourcen und Wälder zu schonen. Im letzten Jahr war die Beschaffung jedoch sehr, sehr schwierig, denn es gab schlichtweg kein Recyclingpapier mehr auf dem Markt zu kaufen. Unser Bestseller “Earth for All” mussten wir zum Beispiel mit FSC-Frischfaserpapier ausstatten, weil es absehbar nicht genügend bezahlbares Recyclingpapier gab.  

Recyclingpapier und Treibhausgasneutralität – wie viel Nachhaltigkeit kann generell in einem Buch stecken?  

Nachhaltiges Denken fängt bei uns schon bei der Planung an. Wir überlegen uns, was eine realistische Startauflage ist. Natürlich sagt jede*r Autor*in: „Mein Buch verkauft sich zehntausendfach, da bin ich mir ganz sicher!“ Da haben wir als Verlag manchmal andere Erfahrungen. Also sprechen wir mit den Autorinnen und Autoren und versuchen, so realistisch wie möglich zu planen, um Überkapazitäten zu vermeiden, und drucken dann gegebenenfalls nach. Es ist umweltfreundlicher, die Druckmaschine noch einmal anzuschmeißen, als die Überdrucke hinterher zu entsorgen. Auch wenn es unpopulär klingt: Jeder Verlag sollte sich überlegen, ob die Welt genau dieses Buch noch braucht. Wie oft braucht man das Gleiche vom Gleichen?

Nachhaltigkeit fängt beim Buch bereits bei der Auflagenplanung an, da ist sich Anke Oxenfarth sicher.

Wir wollen auch sozial nachhaltig sein, nicht nur unseren Mitarbeiter*innen, sondern auch uneren Dienstleistern gegenüber. Wir drucken ausschließlich in Deutschland und arbeiten in der Regel langjährig mit unseren Druckpartnern zusammen. Die schauen wir uns genau an und lassen uns verschiedene Dinge zeigen. Unter anderem ist uns z. B. eine Zertifizierung nach ISO 14001 oder EMAS wichtig. Aber wir müssen auch wirtschaftlich und realistisch sein: Wir können es uns derzeit einfach nicht leisten, nur mit reinen Ökodruckern zusammenzuarbeiten. 

Ist Recyclingpapier die bestmögliche Alternative aktuell und gibt es auch Alternativen zu Mineralölfarben? 

Es gibt – theoretisch – auch Alternativen wie Apfel- und Graspapier. Das wird heute aber mehr für Schmuckbücher verwendet, also beispielsweise für Tagebücher. Wir stellen aktuell bei den möglichen Alternativen fest, und das sagen uns auch die Papiermüller, also die Leute, die das Papier herstellen, dass diese Alternativen noch nicht wirklich marktfähig und deshalb nicht in ausreichenden Mengen zu haben sind. Das scheint also noch nicht ganz ausgereift zu sein und somit ist Recyclingpapier im Moment die beste Alternative zu Frischfaserpapier. 

Auch aus Apfelschalen lässt sich Papier herstellen. Heutzutage wird es jedoch nur für Schmuckbücher verwendet.

Die meisten im Offset-Verfahren gedruckten Bücher werden heute bereits ohne Mineralölfarben gedruckt. Dazu hat auch unser Projekt „Nachhaltig Publizieren“ beigetragen. Dieses Projekt haben wir 2011 gemeinsam mit der Buchmesse Frankfurt und wissenschaftlichen Instituten initiiert.

Grundsätzlich ist es uns wichtig, das Ganze systematisch zu betrachten. Nur auf das Papier oder die Farbe zu achten, ist zu wenig. Wie nachhaltig ist es unterm Strich, wenn das Papier zwar Cradle-to-Cradle-zertifiziert ist, aber wie Steinpapier aus China importiert wird? Man muss über den Tellerrand hinausschauen: Was passiert dort, wo die Bäume gefällt werden oder die Apfelschalen herkommen? 

Der Blaue Engel Druckerzeugnisse – hier waren Sie an der Entwicklung beteiligt. Wie kann ich mir das vorstellen? 

Im Jahr 2010 kam das Thema “Green Publishing” in der Branche auf. Die Frankfurter Buchmesse kam auf uns zu, weil wir aufgrund unserer Produktpalette als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit galten. Damals gab es aber noch keine Richtlinien oder Kriterien für nachhaltige Printprodukte. Deshalb haben wir gemeinsam mit der Frankfurter Buchmesse das Projekt »Nachhaltig Publizieren – Neue Umweltstandards für die Verlagsbranche« initiiert, das vom Bundesumweltministerium finanziell gefördert wurde. Ziel des Projekts war es, branchenspezifische Standards zu entwickeln, mit denen die Ökobilanz des Publizierens entlang der gesamten Produktionskette – von der Papierherstellung über die Druckfarben bis zur Distribution – optimiert werden kann. Daraus entstand der Blaue Engel Druckerzeugnisse (RAL-ZU 195).   

Beim Projekt „umweltsiegel für Druckerzeugnisse“ hat der Oekom verlag mit wissenschaftlichen Instituten, dem Umweltbundesamt und der RAL zusammengearbeitet.

Bei diesem Projekt haben wir eng mit wissenschaftlichen Instituten, dem Umweltbundesamt und auch mit dem RAL, der gemeinnützigen Gesellschaft die den Blauen Engel vergibt, zusammengearbeitet. Wir wollten ein Siegel schaffen, das praxistauglich ist und von der Branche akzeptiert wird.

Der Blaue Engel Druckerzeugnisse legt Kriterien für ein nachhaltiges Printprodukt fest. Die Druckereien, die mit diesem Umweltzeichen zertifiziert werden, müssen unter anderem nachweisen, dass sie eine vernünftige Energiebilanz haben und Ökostrom verwenden, möglichst wenig Lösungsmittel einsetzen, mit ihren Abfällen vernünftig umgehen und Druckfarben ohne Mineralöl verwenden. 

Nun gibt es, wie in vielen Bereichen, endlos viele Siegel im Buchbereich. Irgendwie hat jeder Verlag sein eigenes Ökosiegel. Und somit braucht es wieder den Konsumenten, der sich in der dieser Wildnis auskennt. Was sagen Sie dazu? 

Der Blaue Engel Druckerzeugnisse ist staatlich kontrolliert und das ist der entscheidende Unterschied. Nicht irgendwelche Personen oder private Unternehmen bestimmen die Kriterien oder wollen für die Verwendung des Siegels Geld haben. Bei der Kriterienerstellung für das UZ 195 waren wissenschaftliche Institute mit im Boot. Diese Kriterien wurden ausführlich mit der Branche in Workshops diskutiert und werden alle zwei Jahre weiterentwickelt. In diesen Expert*innen-Workshops sind neben Verlagen und dem Umweltbundesamt auch Stakeholder wie Druckereien und Farbhersteller beteiligt. Außerdem sind die Kriterien transparent für alle nachlesbar. Das ist bei einigen anderen Siegeln, für die gerade ordentlich die Werbetrommel gerührt wird, nicht der Fall.

Wissen und Handeln im Einklang bringen – so sagt es ihr Verlagsründer Jacob Radloff. So publiziert oekom nicht nur ausschließlich im Themenfeld Nachhaltigkeit, sondern hat auch eine Stabstelle Nachhaltigkeit, die Sie leiten. Was machen Sie dort? 

Wir kennen uns durch unsere Publikationen und die jahrzehntelange Arbeit mit wichtigen Autor*innen inhaltlich auf dem weiten Feld der Nachhaltigkeit sehr gut aus. Und da wäre es doch fast schon schizophren, nicht auch als Unternehmen selbst so nachhaltig wie möglich zu agieren. Also zu sagen: Ich drucke wie alle anderen in China und mir ist alles egal, Hauptsache das Buch verkauft sich gut. Das machen wir bewusst nicht. Denn wir haben uns immer gefragt: Wie können wir als Verlag ein Teil der Lösung sein?   

Intern schaue ich mir unsere Prozesse an, zum Beispiel wo wir mit welcher Ausstattung drucken, und lege zusammen mit unserer Nachhaltigkeitsbeauftragten Kriterien fest. Damit mache ich mich auch intern nicht immer beliebt. Gerade in den letzten zwei Jahren, als es so schwierig war, Recyclingpapier zu bekommen. Da diskutieren wir natürlich auch viel mit der Herstellung.  

Extern habe ich die Projektkoordination rund um das Green Publishing übernommen. Ich bin auch viel auf Branchenveranstaltungen unterwegs und halte Vorträge zum Thema Nachhaltig Publizieren. Aktuell arbeiten wir aktiv in mehreren Arbeitsgruppen der IG Nachhaltigkeit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels mit. Wir versuchen halt als Verlag das vorzuleben, wofür die bei uns erscheinenden Bücher und Zeitschriften eintreten: ein zukunftstaugliches nachhaltiges Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell. Dabei bemühen wir uns um Transparenz und sprechen auch offen über Rückschritte.  Wir hatten z. B. mal einen Anteil von über 90 Prozent Recyclingpapier bei unseren Publikationen, momentan sind wir bei einem Anteil von ca. 73 Prozent, weil die Beschaffung einfach gerade sehr schwierig ist. 

Haben sich die Verkaufszahlen bei Ihnen in den letzten Jahren verändert? 

Seit 1972 wissen wir, was auf uns zukommt. Wir publizieren seit 1987 Artikel und Bücher zu Themen publiziert, die erst heute Mainstream sind. Wir sind gut darin, die Themen der Zukunft zu erkennen. Manchmal gelingt es uns, etwas anzustoßen, und manchmal sind wir schlichtweg zu früh dran. Das merke ich öfters bei der “Politischen Ökologie”. Da haben wir beispielsweise 2010 ein Themenheft zu Carbon Capture and Storage (CCS) gemacht. Damals gab es recht wenig Resonanz darauf. Aber vor ca. drei Jahren kam der Vertrieb wieder auf uns zu und fragte, ob wir noch Exemplare dieser Ausgabe hätten, es kämen plötzlich so viele Nachfragen.   

Einige Themen hat der Oekom Verlag vor Jahren in der „politischen Ökologie“ veröffentlicht, die in der breiten Masse nun auch Thema werden.

Die Menschen interessieren sich – notgedrungen – immer mehr für unser Themenfeld. Weil auch andere Verlage Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen daher für ihr Programm entdecken, haben wir in den letzten Jahren durchaus mehr Konkurrenz bekommen.

Vielen Dank für diese spannenden Einblicke.


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