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Soziale Kipppunkte – Wie viele Menschen brauchen wir für eine ökologische Transformation? 

2019 hat sich Coesfeld For Future gegründet und folgte damit dem Aufruf von Greta Thunberg und Fridays For Future. Nach und nach folgten Klimaschutzbewegungen in der Umgebung wie Rosendahl For Future oder die DüNaMi. Mittlerweile sind die anfangs initiierten ”Schulstreiks fürs Klima” zu einer globalen Bewegung gewachsen. Den Mechanismus, der das begünstigt hat, nennt man sozialen Kipppunkt.  

Deswegen müssen wir darüber sprechen 

Wird ein Kippelement ausgelöst, sind die Folgen unumkehrbar und das Leben auf der Erde wird für ein Großteil der Menschen unmöglich. Seit Jahren warnen Wissenschaftler:innen vor diesen Klima-Kippelementen. Nun gibt es Hoffnung auf eine Gegenbewegung – die sogenannten sozialen Kipppunkte. Soziale Kipppunkte können den Klimawandel eindämmen und entgegenwirken.

Definition: Kipppunkte sind Beschleunigungsprozesse, die ab einem bestimmten Punkt nicht mehr aufzuhalten sind. Soziale Kipppunkte meinen dabei, dass so bald eine kritische Masse überzeugt ist, es nur noch einen kleinen Auslöser braucht, die eine gewaltige Dynamik auslöst und schließlich zu tiefgreifender Veränderung in der Gesellschaft führt. 

Soziale Kipppunkte und plötzliche Umbrüche in der Geschichte 

In der Vergangenheit gab es viele wichtige soziale Kipppunkte, die entscheidend für die nachfolgende gesellschaftliche Entwicklung waren. Die weibliche Emanzipation und dem verbundenen Menschenbild wurde innerhalb von wenigen Generationen über ein Jahrhundert andauerndes Gesellschaftssystem auf den Kopf gestellt. (Horx 2021) Die Ereignisse, die dies ausgelöst haben, kamen dabei völlig überraschend. Die Bewegungen, die darauffolgten, entstanden durch Jahre- und Jahrzehntelanger politischer und gesellschaftlicher Akteur:innen und Vordenker:innen. Auf allen Ebenen wurde daran gearbeitet, eine Bewusstseinsverschiebung zu ermöglichen. Zwei Beispiele von vielen.

#metoo 

Am 5. Oktober 2017 erschien in der „New York Times“ ein Artikel, in dem dem früheren Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde. Zehn Tage später rief die US-amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano unter dem Hashtag MeToo andere Frauen auf, in sozialen Medien ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen, Missbrauch und Diskriminierung zu teilen. Die Aktivistin Tarana Burke hatte das Hashtag bereits 2006 benutzt, um auf sexuellen Missbrauch an afroamerikanischen Frauen aufmerksam zu machen.  Dem #metoo-Moment folgten unzählige Debatten und feministische Erfolge.  

Georg Floyd 

George Perry Floyd Jr. war ein Afroamerikaner, der am 25. Mai 2020 von einem Polizisten in Minneapolis, Minnesota, während einer Festnahme ermordet wurde, nachdem ein Verkäufer vermutet hatte, dass Floyd einen gefälschten Zwanzig-Dollar-Schein verwendet haben könnte. Die US-Polizei hatte in Einsätzen überproportional viele schwarze Männer getötet. Nach dem Tod von Goerge Floyd wurde eine Protestwelle ausgelöst, die uns sogar in Deutschland erreichte und ein tiefes Umdenken anstieß. Ein großer Erfolg für die Anti-Rassismus Bewegung. 

Mit dem Plakat „Skolstrejk för Klimatet“ in dicken schwarzen Lettern, löste eine junge schwedische Schülerin eine weltweit agierende Bewegung aus.

Die Klimabewegung als sozialer Kipppunkt?

Auch in der Klimabewegung arbeiten viele auf solche sozialen Kipppunkte hin: Sie demonstrieren, sie klagen und forschen, verändern und leben vor – alles, um ihrem Thema Öffentlichkeit zu geben. Dabei gibt es nicht nur einen großen Kipppunkt, sondern viele kleine, die dann zu einer entscheidenden Veränderung führen. Einer davon war z.B. Greta Thunberg und Fridays For Future. Im August 2018 setzte sich die 16-jährige Schülerin vor den Reichstag in Stockholm, um durch Schulschwänzen auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Immer freitags und immer mit weißem Pappkarton, von Hand beschriftet mit „Skolstrejk för Klimatet“ in dicken schwarzen Lettern. Aus einem jungen Mädchen wurde eine Bewegung. Dieser Bewegung folgten 2019 rund1,4 Millionen Menschen auf die Straße. Aber auch die Flutkatastrophe in Deutschland 2021 schaffte das Bewusstsein, dass die Klimakrise nicht länger unterschätzt werden darf. (Schurman 2022) 

Eine kleine motivierte Gruppe kann eine Gesellschaft ändern.“

Ilona Otto, Sozialwissenschaftlerin für gesellschaftliche Auswirkungen des Klimawandels 

Wie viele Menschen brauchen wir, um eine Gesellschaft zu verändern? 

Grob lässt sich sagen, dass tiefgreifende Veränderungen von ihren Netzwerkstrukturen abhängen und schneller stattfinden, je mehr Informationsaustausch besteht. Deshalb kann man nicht für alle sozialen Systemen pauschal Werte benennen.

Tiefgreifende Veränderungen hängen von ihren Netzwerkstrukturen ab und finden schneller statt, je mehr Informationsaustausch besteht.

Es gibt unterschiedliche Ergebnisse zu den Kipppunkten:  

  • Einer Studie zu sozialen Bewegungen hat gezeigt, dass bereits 3,5 % der Bevölkerung reichen, um die öffentliche Stimmung zu kippen. Entscheidend dafür seien vor allem gewaltfreie Proteste, diese haben doppelt so viel Potenzial zu gesellschaftlichen Veränderungen zu führen.  
  • In Verhaltensexperimenten, konnten Wissenschaftler:innen nachweisen, dass 25 % der Teilnehmenden ihre Ansichten ändern mussten, um Verhaltensänderungen in der Mehrheitsgesellschaft zu erreichen.  
  • Der Finanzmarkt hingegen benötigt 9 % der Investoren, um zu kippen.

Insgesamt liegen die Ergebnisse deutlich unter der Hälfte. (Schurmann 2022); (Metz 2022) 

Welche sozialen Kippelemente gibt es und wie können diese beschleunigt werden? 

Für das Erreichen der Klimaziele bedarf es einer weltweiten Veränderung zu einer klimaneutralen Gesellschaft innerhalb der nächsten 30 Jahre. In einer Studie werden die verschiedenen sozialen Kippelemente herausgearbeitet und konkrete Interventionen vorgeschlagen: 

  • Energie & Dekarbonisierung: Anreize für nicht-fossile Energieerzeugung schaffen 
  • Siedlungen: Bau von kohlenstoffneutralen Städten fördern 
  • Finanzmarkt: Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe 
  • Normen und Werte: Aufzeigen von moralischer Auswirkung auf menschliche Generationen 
  • Bildungssystem: Stärkung der Klimaerziehung 
  • Informationsfeedback: Offenlegung und Information zu Treibhausgasemissionen für individuelle Verbraucherentscheidungen

 

Die Grafik verdeutlicht, dass verschiedene Elemente in unterschiedlichen Zeiträumen kippen können. Aufgrund der gesellschaftlichen Vernetzung können sie sich auch untereinander antreiben. Hier sieht man, dass die verschiedenen sozialen Kipppunkte gleichzeitig Interventionsmöglichkeiten bieten, um eine schnellere Kippdynamik auszulösen. (Otto et al. 2020)   

Und JETZT? 

Wenn sich viele Menschen an gewisse Normen halten, entsteht Veränderung.

Ilona Otto

Soziales Verhalten – sowohl positives als auch negatives – kann ansteckend sein und zu Verhaltensänderungen beim Gegenüber führen. Vor allem, wenn wir dessen Motivation spüren, dann wird das Verhalten übernommen. Das Gefühl von Enthusiasmus ist sehr wichtig, um andere zu überzeugen. So engagiert sich die Fridays For Future Bewegung mit Überzeugung für den Klimaschutz. Ihr Engagement, motiviert andere mitzumachen und so entstehen soziale Mechanismen, die zu gesellschaftlichen Umdenken führen. (Metz 2022) 

Was kannst du tun, um soziale Kippelemente anzustoßen? 

  • Sei ein gutes Vorbild:  Zeige dein umweltfreundliches Verhalten ganz selbstbewusst in der Öffentlichkeit. Eine besonders starke Signalwirkung hat zum Beispiel, wenn du ein Lastenrad in deiner Umgebung fährst oder in Restaurants gezielt nach veganem Essen fragst. 
  • Suche dir Gleichgesinnte: Die Identifikation mit einer Gruppe, begünstigt umweltfreundliches Verhalten aller Teilnehmenden und zwar aktivistisch als auch im privaten Bereich. Es ist wichtig, dass Personen sich als Teil kollektiven Klimahandelns verstehen, dass sie sich in der Gruppe wirksam erleben und gemeinsam Normen, Motivationen und Emotionen teilen. 
  • Führe Gespräche zu klimafreundlichen Normen: Viele Menschen orientieren sich am Verhalten der Mehrheit, daher ist es wichtig bei der Kommunikation bestehende klimafreundliche Normen zu betonen. Ein Beispiel dazu: Willst du mehr Menschen dazu bewegen, dass sie ihren Müll trennen, dann verweise nicht darauf, dass eine Mehrheit ihren Müll noch nicht trennt. Auf diese Weise würde eine Norm (Mehrheit verhält sich so) vermittelt werden und dem eigenen Ziel entgegenstehen. Stattdessen versuche über eine mögliche Befragung zu berichten, dass eine überwiegende Mehrheit der Menschen es gut fänden, wenn mehr für die Umwelt getan würde oder zeige verschiedenen Trends zu mehr Mülltrennung auf. (Fritsche et al. 2021) 
  • Protestiere für mehr Klimaschutz oder unterstütze seriöse Klimaschutzprojekte in deiner Umgebung 
  • Und ganz wichtig – zeige mit deiner Wahlstimme, dass Klimaschutz politisch stärker berücksichtigt werden muss. 

Man sollte nie daran zweifeln, dass eine kleine Gruppe kluger, engagierter Bürger die Welt verändern kann. In der Tat ist das der einzige Weg, der jemals Erfolg hatte.

Margaret Mead, Anthropologin 

Literaturverzeichnis 

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