“Wer muss sich eigentlich ändern: das System oder Ich?“ An diesen Punkt kommen wir alle einmal. Menschen, die sich auf die Reise zu einem klimafreundlichen Leben machen. Menschen, die das Gefühl haben, dass ein Individuum nichts verändern kann. In diesem Beitrag wollen wir noch einmal den Blickwinkel auf das System richten. Muss ich mich wirklich verändern oder nur das System?
Deswegen müssen wir darüber sprechen
Vielen Menschen ist der Klimawandel mit seinen Auswirkungen bewusst und viele bemühen sich im Alltag auch ihre Lebensentscheidungen klimafreundlich anzupassen. Sich pflanzlich ernähren, Fahrrad statt Auto und weniger Konsum: dies ist alles gut fürs Klima. Doch in unserem Lebensalltag treffen wir immer wieder auf Umstände, die es schwer oder gar unmöglich machen, sich nachhaltig zu verhalten. Wer also trägt schlussendlich die Verantwortung für Veränderungen? Ist der Konsumierende mit seiner Nachfrage an allem Schuld? Ist die Industrie, die produzierende Güter anbietet, verantwortlich? Oder sind es politische Entscheidungen, die in erster Linie aus ökonomischen Gründen getroffen wurden?
Ist das System schuld oder das Individuum?
Im Supermarkt angekommen, soll der Konsumierende die Entscheidung zwischen bio und konventionell, zwischen Plastik oder Unverpackt und zwischen fair und menschenunwürdig treffen: Nehme ich die eingepackte Bio Plastik Gurke oder die konventionelle Pestizid Gurke, aber dafür ohne Plastik? Diese Fragen in unseren Lebensalltag stets bei jedem Produkt treffen zu müssen, ist anstrengend und letztendlich unmöglich. Jedes Mal hat die/der klimafreundliche Konsumierende das Gefühl, am Ende des Einkaufs gescheitert zu sein. Vor allem bedeutet jedes abwägen auch eine finanzielle Entscheidung treffen zu müssen. Wer sich ein nachhaltiges Leben leisten kann, kann glücklich sein und lebt womöglich sogar auch gesünder. Damit wird allerdings auch die Schere zwischen wirtschaftlich benachteiligten und wirtschaftlich gut aufgestellten Menschen größer. Ein ökologisches nachhaltiges Leben zu führen wäre somit ein Privileg.
Laut der Bundestagsabgeordneten Anne Monika Spallek ist hierbei vor allem unser Ernährungssystem gescheitert. 800 Mio. Menschen hungern in diesem System. Nach ihr können wir nur eine Wende schaffen, wenn wir auf regionale Kreisläufe setzen. Verbraucher:innen und Landwirtschaft müssen wieder näher zusammengebracht werden und Nachhaltigkeit von Produkten brauchen klare Kennzeichnungen.[1] Dies nennt man systembedingte Veränderungen.
Gleichzeitig ist in unserer Gesellschaft ein unterschwelliger Konsumhass entstanden, der zu Schuldzuweisungen führen kann. Menschen kritisieren andere und ihr Konsumverhalten, sie benennen, was das Gegenüber gerade für einen Schaden am Klima anrichtet. Es wird das Auto kritisiert, der Fleischkonsum oder die Urlaubsreise. Dabei ist nicht jemand, der sich günstiges Fleisch beim Aldi holt, der größter Klimasünder:in. Konzerne und Systeme, die das Klima zerstören, sind das wesentlich größere Problem. Den eigenen Konsum zu hinterfragen und möglichst nachhaltig zu gestalten, ist wichtig. Aber es wird das globale Klimaproblem letztendlich nicht lösen können.[2]
Halten individuelle Veränderungen den Klimawandel auf?
Den Zug statt den Flieger nehmen, LED-Birnen einschrauben und wiederverwendbare Wasserflaschen nutzen. Dies liegt alles im eigenen Wirkungsbereich.
In einer Studie von 2019 kam ein Forscherteam zum Ergebnis, dass individuelle Einsparungen uns dem Pariser Klimaziel um 10 % näher bringen. Weitere 10 % seien mithilfe von energetischen Sanierungen beim Wohnen und besserer Heizung erreichbar. Doch die geforderten 80 % Emissionsreduzierung, wie es die Pariser Ziele vorsehen, werden hiermit immer noch nicht erreicht.[3]
Also, wer muss sich nun ändern? Wer trägt die Verantwortung für den Klimawandel? Natürlich beide – die großen Potenziale liegen jedoch im System.[4] Konsequente Klimapolitik und mit klaren Klimaschutzprogramme in der Wirtschaft ließen im Transport, im Bau, in der Landwirtschaft und im Energiesektor hingegen 60 % einsparen. Das Einsparpotenzial im System ist laut der o.g. Studie zufolge 3-mal so hoch wie das auf individueller Ebene.[5]
Und JETZT?
Für eine Klimaneutralität müssen Emissionen, Ressourcen- und Energieverbrauch sinken! Also weniger Fleisch und mehr Pflanzen auf dem Teller, mehr öffentliche Verkehrsmittel und mehr Radwege. Das Gleiche gilt für kleinere, energiesparendere Wohnungen und mehr Nutzen statt Shoppen.[6]
Dazu brauchen wir jedoch auch systembedingte Alternativen und ein Umdenken. Um das Fahrrad vermehrt zu nutzen, brauchen wir also mehr Fahrradwege, um sich pflanzlich und gesund zu ernähren, müssen pflanzliche Alternativen vermehrt auch in die Öffentlichkeit geraten.
Das Gute ist, dass 63 % der Studienteilnehmer strengere staatliche Maßnahmen befürworten, die sie auch zu Verhaltensänderungen zwingen würden. Im EU-Vergleich sind es sogar 70 %, die dies fordern. Klar ist: Wer jetzt schon damit anfängt, landet weicher in einer Zukunft, in der klimafreundliches Verhalten die neue Norm ist.[7]
Was kann ich tun, um das System zu beeinflussen?
Es geht nicht darum, bis ins Kleinste alles richtig zu machen. Jede:r von uns muss seinen eigenen individuellen Weg zu mehr Nachhaltigkeit finden. Jedoch die Verantwortung sich für oder gegen ein Produkt aus z.B. Kinderarbeit zu entscheiden, darf nicht auf einzelne Maßnahme abgeschoben werden. Kinderarbeit darf nicht auf einzelne Menschen oder einen/den Konsumierenden abgeschoben werden. Wir müssen und können große Maßnahmen fordern. Große Veränderungen kommen aus politischen Handlungen und politischer Signalwirkung! [8] Die Gesellschaft muss sich möglichst so verändern, dass die klimafreundlichste Option auch zugleich zukünftig die bequemste Entscheidung ist.[9]
Dein erster Schritt: Vergrößere deinen ökologischen Handabdruck
Genauso wichtig wie der ökologische Fußabdruck ist unser Handabdruck. Dieser steht für dein persönliches nachhaltiges Engagement. Dinge, worauf du stolz sein kannst, und die andere positiv beeinflussen. Das kannst du also tun:
- Informiere dich und recherchiere zu (d)einem Thema und sprich mit anderen darüber!
- Hinterfrage die Entscheidungen auf kommunaler Ebene und engagiere dich
- Schließe dich einer Organisation oder Initiative an: Wenn jede:r Einzelne verzichtet, werden wir nur einen kleinen Schritt weiterkommen. Verbünden wir uns aber und erhöhen den politischen Druck, wird der Wandel größer ausfallen. Wir wären eine davon 😉
- Geh protestieren für mehr Klimaschutz. Keine Zeit? Unterstütze seriöse Klimaschutzprojekte wie z.B. Die Klimawette[10] oder Initiativen vor Ort, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen.
- Geh wählen: Benenne mit deiner Wahlstimme jedes Mal die Wichtigkeit des Klimaschutzes
- und zuletzt… Reduziere deinen CO₂-Fußabdruck: denn auch das motiviert andere ihr Verhalten zu hinterfragen. Wir brauchen Modelle und Toleranz für Veränderungsbereitschaft. Und manchmal brauchen wir auch Vorbilder, die den Weg schon ein wenig bestritten haben.
[1]Aspallek: Instagram Beitrag vom 1.12.21
[2]https://www.watson.de/nachhaltigkeit/klimaschutz/416276922-luisa-neubauer-oekologisches-leben-sollte-kein-privileg-sein
[3]Perspective Daily 5.Nov.2021: Diese Zahlen zeigen: Systemwandel bringt dem Klima mehr als grüner Lifestyle. Felix Austen // PD Daily
[4]Perspective Daily 5.Nov.2021: Diese Zahlen zeigen: Systemwandel bringt dem Klima mehr als grüner Lifestyle. Felix Austen // PD Daily
[5]Perspective Daily 5.Nov.2021: Diese Zahlen zeigen: Systemwandel bringt dem Klima mehr als grüner Lifestyle. Felix Austen // PD Daily
[6]Perspective Daily 5.Nov.2021: Diese Zahlen zeigen: Systemwandel bringt dem Klima mehr als grüner Lifestyle. Felix Austen // PD Daily
[7]Perspective Daily 5.Nov.2021: Diese Zahlen zeigen: Systemwandel bringt dem Klima mehr als grüner Lifestyle. Felix Austen // PD Daily
[8]Luisa Neubauer: 3 Ökotipps mit denen wir das Klima retten…nicht! https://open.spotify.com/episode/1nJTLeXwgHCKH4Md82AlfX?si=c009b3c899aa44ae&nd=1
[9]Luisa Neubauer: 3 Ökotipps mit denen wir das Klima retten…nicht! https://open.spotify.com/episode/1nJTLeXwgHCKH4Md82AlfX?si=c009b3c899aa44ae&nd=1
[10]https://www.dieklimawette.de/klimaschutzprojekte