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Berthold te Vrügt, was ist ein nachhaltiges Finanzwesen?

Last updated on 25. Oktober 2023

Berthold te Vrügt (Jahrgang 1967) ist seit 2016 Vorstandsmitglied der VR Bank Westmünsterland. Der diplomierte Bankbetriebswirt lebt in Stadtlohn. Te Vrügt, der auch einen Master in Angewandter Ethik hat, liest derzeit das Buch “Sei du selbst” von Richard David Precht.

Finanzmärkte sind durch die Schnittstelle zu realwirtschaftlichen Unternehmen und Privatkund:innen ein entscheidender Faktor für den Umbau hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Aktuell lohnen sich klimaschädliche Investitionen mit kurzfristigen Renditen mehr als wirklich nachhaltige. Welche Hebel müssen hier in Bewegung gesetzt werden? 

Es gibt solche und solche Studien. Es gibt Studien, die sagen, dass nachhaltige Anlagen rentabler sind, und es gibt andere Studien, die sagen, dass sie es nicht sind. Man kann aber schon sagen, dass aus der rein zeitlichen Renditebetrachtung der kurzfristige Bereich per Definition gar nicht nachhaltig sein kann!  

Aber was richtig ist, und da sind wir wieder bei den Hebeln: Dieser Zusammenhang zeigt uns, dass, wenn wir über Renditen sprechen, also etwas sehr Wirtschaftliches, und über Nachhaltigkeit – es da einen Zusammenhang gibt. Das ist auch richtig so! Die Wörter Ökonomie und Ökologie unterscheiden sich nur durch zwei Buchstaben und bedeuten letztlich vom Wortursprung sehr Ähnliches, auch wenn sie sich in der Bedeutung in den letzten Jahrzehnten entfremdet haben. 

Der entscheidende Hebel wird sein, diese Gegensätze zu überwinden.

Ich vertrete die These, und das sehen wir auch als Bank so, dass die Wirtschaft langfristig die beste Instanz ist, um uns beim Thema Nachhaltigkeit zu helfen. Auch wenn das für manche paradox klingen mag. Denn Wirtschaften, das habe ich schon in der Schule gelernt, ist der Umgang mit knappen Ressourcen. Und ich glaube, das können die Unternehmen gerade hier bei uns im Westmünsterland sehr gut. Dazu braucht die Wirtschaft aber klare Strategien von der Politik. Die Unternehmen müssen wissen, was sie zu tun haben. 

Wir müssen beim angesprochenen Umbau dabei aber stets offen bleiben und die Kreativität der Menschen nutzen. Wir müssen auch technologieoffen bleiben. Denn wenn wir zu ideologisch unterwegs wären, dann würden wir ja Möglichkeiten ausschließen für die Zukunft. Das ist genau das, was wir nicht wollen.

Über allem steht natürlich schon aus wirtschaftlichen Gründen, dass es langfristig nur mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise weitergehen kann. Und unsere Kunden und vor allem die Unternehmen, die haben ein Interesse daran, dass es gut weitergeht. Die Unternehmen wissen, dass das nicht geht mit einer Politik, auch nicht mit einer Unternehmenspolitik, die darauf ausgerichtet ist, zu Lasten der nächsten Generationen zu leben und deren Ressourcen gewissermaßen „auszubeuten“. Das hat übrigens auch die Entscheidung 2021 des Bundesverfassungsgerichts gezeigt. Mit diesem „Klima-Urteil“ wurde schon festgestellt, dass die Politik aufzeigen muss, wie es auch nach 2030 weitergeht.

Die Bundesregierung und die EU-Kommission sehen im Finanzsektor eine Schlüsselrolle, um Investitionen auf nachhaltige Technologien und Unternehmen zu lenken. Mit welcher Art von Regularien rechnen Sie für die Zukunft und was bedeutet das für Sie aus Bankenperspektive?  

Ich bin mir sicher, dass Regulierungen zunehmen werden. Manchmal glaubt man, das wäre garnicht mehr möglich. Es ist bereits jetzt schon exponentiell, was dort passiert. Ich finde das allerdings nicht richtig. Ich stelle mir eine Welt vor, die sehr gering reguliert ist. Und dann stelle ich mir die Frage, was in dieser Welt geschehen würde. Gerade bei uns in der Region.

Eine Art „Kernmoral“ muss sicher geregelt sein. Heißt: Menschen mit gutem Willen würden auch so auf die Dinge kommen und allein schon aus wirtschaftlichen Erwägungen in diesem Sinne handeln. Und dann bin ich mir ziemlich sicher, dass wir nicht weniger nachhaltig wären. Wir hätten viel mehr Zeit, uns um die wichtigen Dinge zu kümmern und müssten nicht Heerscharen von Leuten beschäftigen, die sich darum kümmern müssen, dass alles bis ins kleinste Detail stimmt. Das sagt ja auch der Expertenrat in der Beurteilung des Klimaschutzgesetztes: Es gibt zu viel Bürokratie.

Ich habe ein bisschen die Sorge, dass der Spaß an dem Ziel Nachhaltigkeit dabei verloren gehen wird.

Und in dem Punkt bin ich dann pessimistisch. Denn wenn Bürokratie einmal aufgebaut wird, wird sie nicht so schnell wieder abgebaut.  

Als VR-Bank wollen wir erstens aus eigenem Antrieb nachhaltig wirtschaften. In unserer Satzung und im Gesetz steht nicht, dass wir irgendeiner Regierung für deren Agenda zu Diensten sein müssen. Wir wollen zweitens nachhaltig sein, weil es immer mehr unserer Stakeholder erwarten. Und drittens: Wir wollen nachhaltig sein, weil wir wissen, dass die Regulierung uns einiges abverlangen wird. Auch wenn wir nicht damit gerechnet haben, dass diese Vorschriften so massiv kommen. Aber genau in dieser Reihenfolge sind wir vorgegangen. Das ist wichtig zu wissen, weil wir uns nicht in einer Schlüsselrolle eines Erfüllungsgehilfen sehen. Es heißt immer: “Ihr als Banken seid dafür verantwortlich, dass eure Kunden nachhaltig sind”. Das stimmt nicht. Wir sind für die Mitgliederförderung zuständig. Aber da erleben wir auch aus Gesprächen mit Unternehmerinnen, Unternehmern und Privatkunden: Die wollen das aus eigenem Antrieb! Es gibt aber auch welche, die andere Prioritäten oder Wege für sich sehen. Wir bevormunden keinen.

Nehmen wir die EU-Taxonomie als Beispiel: Welche Wirtschaftsaktivitäten sind nachhaltig? Politik ist die Kunst des Machbaren: Natürlich müssen Kompromisse geschlossen werden. Vor dem russischen Angriffskrieg wollte man Gas als klimaschädlich einstufen. Jetzt macht die Politik es anders. Ist das nachhaltig? Im ökologischen Sinne wohl zunächst nicht. Aber in der Gesamtabwägung der Politik kommt sie zu anderen Ergebnissen.  

Regulierung ist nicht sexy. Unternehmen wollen sich nicht in ihr Geschäft hineinreden lassen. Die Umweltbewegung würde allerdings mit einem sich schließenden Zeitfenster dagegenhalten. Wie können wir also beides unter einen Hut bringen: schneller werden in der Transformation und gleichzeitig freier agieren ohne Regeln? Was meinen Sie? 

Das ist eine spannende Frage. Da sind wir im Maschinenraum des Problems. Ich glaube, dass Regulierungen grundsätzlich sinnvoll sind. Ich glaube nur, man muss die Richtigen regulieren und dann richtig regulieren. Bei großen, international agierenden Unternehmen und Konzernen sind Regularien erforderlicher, weil dort einfach mehr Anonymität herrscht und Entscheidungs- und Verantwortungsketten manchmal schwerer nachzuvollziehen sind. Es gibt eine Korrelation zwischen Anonymität und Größe eines Unternehmens. Aber umgekehrt glaube ich: Wenn man sich im wirtschaftlichen Miteinander persönlich kennt und persönlich als Verantwortliche miteinander redet, dann sind diese Gespräche wichtiger als Regularien. Hier in der Region – und da spreche ich wieder von uns als VR-Bank – sprechen wir direkt mit unseren Kunden. Gemeinsam mit unseren Kunden gehen wir die Geschäftsprozesse durch. Wir machen mit ihnen auch hinsichtlich der Transformation Risikoanalysen und stellen Investitionschancen gegenüber. Ich glaube, der Hauptpunkt ist auch, dass jetzt mehr und mehr über diese Herausforderung gesprochen und ja auch entsprechend gehandelt wird. Auch da hat der vorhin erwähnte Sachverständigenrat gesagt: Es ist nicht alles schlecht. 7,5 Gigawatt neu installierte PV-Kapazität in 2022 in Deutschland ist nicht nichts. Wir sehen, dass hier bei uns eine ganze Menge passiert. 

>> Surftipp: Expertenrat für Klimafragen <<

Die Amerikaner gehen übrigens einen anderen Weg. Sie drehen mit ihren gigantischen Investitionspaketen das bei uns vorherrschende Prinzip quasi um. Sie erhöhen nicht den CO-Preis, sondern senken den Preis für Erneuerbare Energien. Die Reaktion der Verbraucherinnen und Verbraucher: „Oh toll, dann spare ich ja Geld! Das macht mir dann Spaß.” Das sind sogenannte Nudging-Elemente, von denen sie sich mehr Effekte versprechen

Ein weiterer Punkt in meinen Augen: An welchen Stellen entsteht die Lösung? Doch häufig vor Ort in den Kommunen! In Skandinavien wird viel mehr Geld auf Kreisebene verteilt und dafür gesorgt, dass die mehr autark gestalten können, statt immer mehr zu zentralisieren. Das geht auch beim Thema Transformation! Das geht aber nicht, wenn ich die „Kleinen“ durch nicht angemessene Vorschriften benachteilige. Und da schließt sich der Kreis wieder. 

Kommen wir nun zu Ihrer Bank – der VR-Bank: Was ist ein nachhaltiges Finanzwesen für Sie? Wie definieren Sie und Ihre Bank „grüne“ Finanzprodukte? 

Leider definieren nicht wir, was ein grünes Finanzprodukt ist, sondern die Politik. Wenn wir es definieren würden, würden wir nicht ein Produkt als grün definieren, sondern ein Geschäftsmodell. Unser Geschäftsmodell ist ein regionaler Finanz-Kreislauf, den wir seit über 20 Jahren immer wieder aufzeigen. Ein Wirtschaftskreislauf. Da sind wir als VR-Bank und da sind die Unternehmen. Die bekommen von uns Kredite und investieren diese. Sie stellen Mitarbeiter ein, zahlen ihnen Löhne und Gehälter. Die wiederum finanzieren damit ihre Kredite und geben uns das Geld als Einlage. Die geben wir wieder als Kredit an die Unternehmen. Unsere vergebenen Kredite stehen auf der Aktivseite der Bankbilanz. Bei uns sind das ca. 77 Prozent. Jeder unserer Kunden weiß also, was wir mit ihren Einlage machen. Den meisten unserer Kunden reicht das als Information. Die sagen einfach: Ich bin Teil dieses Kreislaufs. Ich weiß, das Geld wird hier investiert und ist damit nachhaltig angelegt. Im Kern ist das für mich nachhaltiges Finanzwesen.

Wenn ein Kunde zum Beispiel in einen Fonds investieren möchte, dann investiert der Fonds ja nicht direkt in unsere Region. Im Rahmen der Anlageberatung sind wir dazu verpflichtet, seine Nachhaltigkeitspräferenzen zu erfragen und ihm die Informationen zur Nachhaltigkeit der Zielprodukte zu geben. Hierbei müssen wir uns dann an dem orientieren, was es an Klassifizierungen der Anbieter schon gibt – Stichwort EU-Taxonomie. Wenn wir das selbst definieren würden, würden wir eigentlich sehr stark über unser Geschäftsmodell kommen: Wenn ihr uns Einlagen gebt, dann geht dieses Geld ganz überwiegend an Unternehmen und Privatkunden hier in der Region. Das ist nachhaltig. Für uns ist Nachhaltigkeit auch erst einmal eine Einstellung. Uns als VR-Bank ist die Ganzheitlichkeit wichtig. Wir fokussieren uns ja nicht nur auf die ökologische Nachhaltigkeit, sondern haben auch soziale Gerechtigkeit und die Governmentsthemen im Blick.  

Ein wichtiger Ansatzpunkt, wie der Finanzsektor einfach und direkt zum Kampf gegen die Klimakrise beitragen kann, ist das Ende der Finanzierung fossiler Energien. Wie steht Ihre Bank dazu? 

Wir wollen nicht bevormunden und haben einen satzungsgemäßen Auftrag. Und der lautet: Förderung der Mitglieder..  

Wir haben ja eben über Kreislaufwirtschaft gesprochen. Neben den klaren Vorgaben gibt es im Rahmen der notwendigen Transformation natürlich auch Grauzonen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt Unternehmen, die produzieren sehr viel Beton für den Bau von Windkraftanlagen. Soll man denen das jetzt verbieten? Dann werden keine Windräder mehr gebaut. Die Welt ist nicht schwarz und weiß. Wir bevormunden nicht und sind uns der Grauzonen bewusst. 

Als Bank arbeiten Sie im Dienstleistungssektor. Ihr ökologischer Fußabdruck entsteht also auch durch Verhaltensweisen Ihrer Mitarbeitenden. Wie fördern Sie umweltfreundliches Verhalten? Wie präsent ist dies Thema bei Ihren Mitarbeitenden? 

Generell sind wir uns unserer Verantwortung bewusst. Im Jahr 2020 haben wir uns im Rahmen unseres betrieblichen CO2-Managements das Ziel gesetzt, bis 2025 CO2-neutral zu werden. Nicht durch den Kauf von CO2-Zertifikaten, sondern durch eigene Reduktionsleistungen. Wir sind von rund 1460 Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr 2019 auf irgendwas mit 450 im Jahr 2021 heruntergekommen. Das finde ich schon beachtlich. Uns ist auch klar, dass es eine Basis geben wird, wo wir nicht weiter reduzieren können und dann mit Zertifikaten ausgleichen müssen. Das wird aber sehr gering sein und sich in einer Größenordnung von 200 bis 250 Tonnen einpendeln. Da sind wir auf dem Weg – das sind schon 73% Reduktion! 

<< Surftipp: Nachhaltigkeitsbericht 2022 der VR-Bank Westmünsterland <<

Im Jahre 2020 haben wir auch alle Gebäude mit Gebäudesteckbriefen versehen, um zu schauen, was hier passieren muss. Ab 2023 ist unser Scope 2 durch Reduktion oder auch den Bezug von Ökostrom komplett auf 0 gesetzt.  

Wir veranstalten jedes Jahr ein Mitarbeiterforum, Workshops und Hausmessen. Auf diesen Foren sprechen wir über verschiedene Themen.

Im Jahr 2020 sind 450 Ideen zum Thema Nachhaltigkeit entstanden.

Das ist ein Pool für neue Ideen, die wir dann umsetzen. Letzten Herbst/Winter haben wir zum Beispiel eine kleine Mitarbeiterkampagne gemacht. “Mach es wie Anne und Basti” hieß das und das waren zwei Mitarbeiter, die Klimatipps im Büroalltag vorgestellt haben. Dran denken, das Licht in Besprechungsräumen auszumachen, die Türen zu Schließen, ans Stoßlüften zu denken, uvm. Es ging also um das Thema Energiesparen. Da haben wir auch gemerkt, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intrinsisch motiviert sind. Wir haben Banker, die imkern können und eine Kollegin stellt ihr Waschmittel aus Efeu her. Das war wirklich spannend!  

Wir haben auch eine Mitarbeiter-Infobox. Dort werden die unterschiedlichsten Dinge zum Thema Nachhaltigkeit aufgezeigt. Nicht nur bankspezifische Dinge, wie neue Regularien bei uns im Bankensystem abgebildet werden können. Wir erklären dort auch, was eine CO2-Bilanz ist oder machen Werbung für Umweltaktionen, wie z.B. das Stadtradeln. 


Wir hatten die Möglichkeit, mit den beiden großen Bankinstituten des Münsterlandes zu sprechen. In unseren Gesprächen tauchen wir in die Welt der Finanzinstitute, insbesondere der Sparkasse und der Volksbank, ein, um Einblicke und Ausblicke in die aktuellen Entwicklungen der ökologischen Nachhaltigkeit zu erhalten: 

<< Lies auch das Interview mit Robert Klein von der Sparkasse Westmünsterland  >>

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