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Wie die Klimakrise unsere Versicherungsbeiträge in die Höhe treiben kann und was du dagegen tun kannst

Last updated on 12. Oktober 2023

Entlang der Ahr im Landkreis Ahrweiler leben laut EU-Auswertung rund 56.000 Menschen. Als am 15. Juli 2021 das Wasser kam, war kaum jemand vorbereitet. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) geht von 42.000 Flutbetroffenen aus. Davon haben mindestens 17.000 unmittelbar Hab und Gut verloren oder stehen vor erheblichen Schäden, so die Schätzung auf Basis der Satellitenauswertung. Wie gehen Versicherungen eigentlich mit Naturkatastrophen um? Was bedeutet diese für zukünftigen Prognosen unserer Beiträge?

Deswegen müssen wir darüber sprechen 

Der Klimawandel hat in den letzten Jahren zu einer Zunahme extremer Wetterereignisse wie Stürme, Überschwemmungen, Dürren und Waldbrände geführt. Diese Ereignisse können erhebliche Schäden an Eigentum, Infrastruktur und Menschenleben verursachen. Daher ist es wichtig, dass die Versicherungsbranche ihre Strategien und Policen an die sich ändernden klimatischen Bedingungen anpassen, um sowohl den Versicherten als auch den Versicherungsunternehmen selbst ausreichenden Schutz zu bieten. 

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Wie funktioniert unser Versicherungssystem? 

Grundsätzlich funktioniert eine Versicherung so, dass die Mitglieder einer sogenannten “Risikogemeinschaft” einen bestimmten Betrag zahlen, um sich gegenseitig abzusichern. Trifft ein Mitglied der Gruppe ein unvorhergesehenes Ereignis, zahlt die Versicherungsgesellschaft. Auf diese Weise wird das Risiko der finanziellen Folgen eines solchen Ereignisses auf alle Mitglieder der Risikogemeinschaft verteilt. Das heißt, viele Versicherte zahlen monatlich (jährlich) kleine Beträge in einen Topf. Aus diesem Topf bezahlt der Versicherer den Schaden eines Versicherten. Dabei verwaltet er das Geld und prüft, ob die Voraussetzungen für eine Leistung auch vorliegen. (Eisenhut, 2023)   

Versicherungsunternehmen berechnen ihre Prämien auch mithilfe sogenannter Zürs-Zonen, die das Überschwemmungsrisiko anzeigen.

Wie berechnen Versicherungen ihre Beiträge? 

Alle Menschen tragen unterschiedliche Risiken, die der Versicherung einen kalkulatorischen Wert verleihen. Beispielsweise zahlen Raucher mehr für eine Lebensversicherung, da sie mit höherer Wahrscheinlichkeit Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen werden. Im Falle des Klimas benötigt die Versicherungswirtschaft eine valide Datenbasis über klimarelevante Umweltfaktoren. Nur so können zukünftige Risiken und mögliche Schäden abgeschätzt und angemessene Prämien festgelegt werden. Verschiedene Informationssysteme zum Klimawandel stellen regionalspezifische Daten zur Verfügung. So werden beispielsweise bei der Prämienberechnung von Hausrat- und Gebäudeversicherungen die so genannten Zürs-Zonen berücksichtigt. Diese zeigen das Überschwemmungsrisiko an und können helfen, lokale Risiken besser einzuschätzen. (Kambor, 2022) 

Zonierungssystem zur Gefährdungseinschätzung bei Starkregen 

Versicherungen sichern Schäden nach Risiko und Ursachen ab: Entsteht ein Gebäudeschaden, der steigendes Grundwasser als Ursache hat, muss die Police andere Inhalte absichern als bei Schäden, die von Niederschlägen verursacht werden. Hier ein Beispiel: Um das Risiko von Starkregenschäden besser einschätzen zu können, hat die Gesamtgesellschaft des Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) drei Starkregengefährdungsklassen (SGK) eingeführt. Je nach Lage wird jedes Gebäude einer der drei Gefährdungsklassen zugeordnet. Denn je tiefer ein Gebäude liegt, desto länger steht das Wasser dort und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Schäden. 

Bundesweit liegen knapp 12 Prozent aller Adressen in der SGK 3, rund 66 Prozent in der SGK 2 und knapp 23 Prozent in der SGK 1. Die Starkregengefährdungsklassen können von den Versicherern für eine ausführliche Beratung zum Hochwasserschutz und für eine individuelle Risikoberechnung genutzt werden. In Nordrhein-Westfalen haben derzeit 53 Prozent der Hausbesitzer Schäden durch Starkregen und Hochwasser versichert. Dabei rät die GDV die Wohngebäude- und Hausratversicherung nochmal auf Absicherung durch Naturgefahren zu prüfen. (GDV 2022) 

Wie werden Risiken bewertet? 

Die Versicherungen sind in ihrem Kern vom Klimawandel betroffen. Versicherungen berechnen Risiken, um die Prämien festzulegen. Ist das Risiko höher, kann es zu Versicherungsverlusten kommen. Beitragsanpassungen für veränderte Risiken und Ausschlüsse von Leistungen können die Folge sein. Vereinfacht ausgedrückt: Einerseits steigt der Versicherungsbedarf, andererseits können die Versicherungsunternehmen unkalkulierbare Risiken nicht mehr oder nur zu extrem hohen Prämien versichern. Angesichts der jüngsten extremen Schadenereignisse wie Überschwemmungen oder Schlamm- und Gerölllawinen im Alpenraum, wird ein solches Szenario immer relevanter. (Aktuar 2021) 

Welche Klimaauswirkungen gibt es für die Versicherungen? 

Die versicherungstechnischen Auswirkungen sind nicht nur regional unterschiedlich. Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen auch verschiedene Versicherungssparten: 

  • Krankenversicherung > erhöhtes Krankheitsgeschehen durch z.B. Hitze und Dürre 
  • Lebensversicherung > Risikoerhöhung bei Versicherungen mit Sterblichkeitsrisiken 
  • Schaden-/Unfallversicherung > steigende Ernteausfälle und Brände. Hitze und Trockenheit führen zu Produktionsausfällen in der Landwirtschaft und damit zu einem erhöhten Schadenspotenzial mit höheren Versicherungsbeiträgen. Eine Zunahme von Stürmen, Starkregenereignissen oder Hagelintensitäten zählen ebenfalls dazu. (Aktuar 2021) 

Darüber hinaus eröffnen sich für Versicherer neue Märkte durch die Notwendigkeit der Anpassung an den Klimawandel. Dazu gehören Versicherungsschutz für Schäden im Bereich erneuerbarer Energien (Photovoltaik-, Solarthermie- und Windkraftanlagen) oder auch Risikotransferlösungen, die bei Ertragsausfällen entsprechender Anlagen (Kraftwerke, Infrastruktur) greifen. (UBA, KomPass 2011) 

Die Schäden gehen in die Milliarden, die Versicherer müssen sich auf hohe Belastungen einstellen.

Was kostet der Klimawandel den Versichernden? 

Passiert eine Umweltkatastrophe tritt oftmals eine Rückversicherung in Kraft. Ein Rückversicherer ist eine Versicherungsgesellschaft, die die Risiken von anderen Versicherungen abdeckt und für eine Leistungen eintritt. Also eine Versicherung der Versicherungen. Als einer der größten Rückversicherer ist Munich RE von Umweltkatastrophen weltweit betroffen. So sind bei ihr beispielsweise auch US-Versicherer gegen teure Schäden aus Naturkatastrophen rückversichert. Dadurch werden die Kosten der versicherten Naturkatastrophen transparent. Die Hurrikan-Serie in den USA und der Karibik führte 2017 zu Rekordschäden. Die Buschbrände in Kalifornien waren mit rund 10 Mrd. US$ die bisher teuersten Feuerschäden. Für die Ernteausfallversicherung wurden in Nordeuropa Milliarden Euro für Schäden aus dem trockenen Sommer veranschlagt. Das Hochwasser im Sommer 2021 war laut Munich RE die teuerste Naturkatastrophe aller Zeiten in Deutschland. Immer kürzere Abstände zwischen schadenträchtigen Naturereignissen, wie bei den Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, beschäftigen die Versicherungswirtschaft. Die Schäden gehen in die Milliarden, die Versicherer müssen sich auf hohe Belastungen einstellen. Das treibt auch die Rückversicherungspreise in Europa in die Höhe. (Naumann, 2023) 

Was sagt die Versicherungsbranche zum Klimawandel? 

Die Folgen des Klimawandels sind gravierend. Sie zeigt auch, wie viele Schäden vermieden werden könnten. Aus Sicht des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) können die volkswirtschaftlichen Folgen des Klimawandels und extremer Wetterereignisse nur durch klimaangepasstes Bauen verringert werden. Prävention und Klimafolgenanpassung sind der Dreh- und Angelpunkt, damit die Schäden durch Naturkatastrophen und damit die Versicherungsprämien finanziell nicht aus dem Ruder laufen. „Wir müssen den menschengemachten Klimawandel begrenzen, so wie es im Abkommen von Paris vereinbart ist. Dann bleiben die künftigen Schäden durch die Folgen des Klimawandels auch versicherbar“ so Asmussen GDV.  (GDV 2023) 

Versicherungsunternehmen können durch Positivkriterien wie Investitionen in ökologische Landwirtschaft der Transformation helfen

Und JETZT? 

Versicherungen müssen sich mehr für den Klimaschutz einsetzen!

Versicherungsunternehmen müssen den Klimawandel und seine Auswirkungen ernst nehmen, proaktiv Maßnahmen ergreifen und haben dazu auch konkrete Einflussmöglichkeiten. Versicherungen gelten als einer der größten Investoren auf dem Finanzmarkt. Mit ihrem Geld können Versicherungen deutliche Zeichen für den Klimaschutz setzen. Durch ihre Anlagestrategien können sie erneuerbare Energien fördern oder eben den für die Klimaerwärmung mitverantwortlichen Industrien den Geldhahn zudrehen. (Naumann, 2023) Beispiele für Negativkriterien bei Versicherungsinvestitionen sind: Investition in Rüstung, Gentechnik, Tierversuche oder Atomkraft. Positiv können die Versicherungen dagegen den Markt so beeinflussen: Investitionen in Erneuerbare Energien, ökologische Landwirtschaft, soziale Wirtschaft (Schulen, Senioren und Krankenhäuser) oder fairer Handel. (Team, 2023) Darüber hinaus können die Versicherer den Versicherungsnehmern Anreize bieten präventiv vorzusorgen. Anreizmöglichkeiten im privaten Bereich sind z.B. Prämiennachlässe für gute bauliche und technische Vorsorgemaßnahmen. Beispielsweise werden bei einigen Versicherern und Bausparkassen nur noch Baufinanzierungen für Energieeffiziente Bauvorhaben ausgegeben. Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung eines Gebäudepasses sowie eines Hochwasserpasses, bei dem Ausgewiesen wird, wie gut ein Gebäude gegen Schäden durch Hochwasser geschützt ist. (UBA, KomPass 2011) 

Wie erkenne ich eine nachhaltige Versicherung? 

Eine nachhaltige Versicherung zeichnet sich dadurch aus, dass das Fundament des Versicherungsunternehmens auf Nachhaltigkeit basiert. Das bedeutet, dass die Kapitalanlagen nach ESG-Kriterien (deutsch: Umwelt, Sozial, Unternehmensführung) investiert wurden bzw. zukünftige Investitionen auch danach ausgewählt werden. Eine Divestment-Entscheidung – also der Verzicht auf Investitionen in Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft – ist dabei selbstverständlich. Darüber hinaus muss ein nachhaltiges Versicherungsunternehmen über eine Umweltleitlinie verfügen und einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen.  
Auch Nachhaltigkeit im Geschäftsalltag sollte gelebt werden. Das bedeutet, dass z.B. der Einkauf, der Druck der Versicherungspolicen (wenn nicht bereits digital) oder generell die Unternehmensführung nachhaltig organisiert sein müssen. (Greensurance 2020) 

Beuge einem bösen Erwachen vor, in dem du weißt, welche Naturgefahren in deinem Wohnort am wahrscheinlichsten sind.

Zivilgesellschaft: Kenne das Risiko für deinen Wohnort!

Hier hast du unterschiedliche Möglichkeiten, um herauszufinden, ob dein Wohnort betroffen ist.

  • Naturgefahren Check: Falls du herausfinden möchtest, welche Risiken für dein Wohnort bestehen, bietet das Verbraucherportal des GDV einen Naturgefahren Check an. Unter Angabe des genauen Wohnortes kannst du auch ein konkreten Hochwassercheck bekommen. 
  • Lagepläne mit Auskünfte über Natur- und Landschaftsgebiete sowie Risikogebiete für Hochwasser: Für tiefergehende Informationen bietet das Geoinformationssystem des Kreis Coesfeld Karten und Lagepläne mit Auskünften über Natur und Landschaftsgebieten, Windkraftanlagen und vieles mehr. Unter dem Punkt der Umwelt und Natur findet ihr auch einen Lageplan zur Wasserwirtschaft, hierbei besteht die Möglichkeit unterschiedliche Kriterien wie Hochwasser und Überschwemmungsgebiete auf der Karte einzusehen.

Daneben kannst du hinterfragen, bei welchem Versicherungsunternehmen du dich versichern lassen möchtest. Wir geben gerne zu: das kann durchaus aufwendig sein, unter den vielen Versicherern die richtige Wahl zu treffen. Achte deshalb darauf, welche Investitionen tätigt deine Versicherung und welche Wirtschaftsweise unterstützt sie? NGOs wie Urgewald, Greenpeace oder Fossil Free machen Druck auf Versicherungen, konsequent aus der Kohle auszusteigen. Du kannst mit der Wahl der Versicherung zeigen, welche Werte du unterstützen möchtest. Übrigens: Nur weil Atomkraft jetzt den ESG-Kriterien entspricht, heißt das nicht, dass Fonds, die sich an diesen Kriterien orientieren, automatisch auch Atomkraft-Investments in ihr Portfolio aufnehmen. Für dich heißt das nochmal genauer hinzuschauen. Wichtig ist dabei, ob ein Unternehmen die Kriterien als ODER-Optionen versteht oder den Dreiklang forciert, d.h. alle 3 Kriterien müssen vollständig erfüllt sein.

Wer ganz tief in die ESG-Fondsthematik eintauchen will, kann sich beim Bundesverband Investment und Asset Management e.V. umschauen. (Schrage, 2023) 


Literaturverzeichnis 

2 Kommentare

  1. Willy Willy

    Die Assmussen quelle stimmt so nicht mehr – da steht jetzt vom 6.3.2023 (nicht mehr 3.3.) :

    „ Prävention und Klimafolgenanpassung sind der Dreh- und Angelpunkt, damit Schäden durch Naturkatastrophen und damit Versicherungsprämien finanziell nicht aus dem Ruder laufen.“

    Und nicht wie oben zitiert:

    „Wir müssen den menschengemachten Klimawandel begrenzen, so wie es im Abkommen von Paris vereinbart ist. Dann bleiben die künftigen Schäden durch die Folgen des Klimawandels auch versicherbar“ so Asmussen GDV. (GDV 2023)“

    Warum ist das anders jetzt ? Gibt es Beleg für das ursprüngliche Zitat – ist ja schon eine ganz wesentliche Änderung, wenn das „menschgemachte“ plötzlich fehlt

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