Zum Inhalt springen

Dominik Bodem, können wir es uns noch leisten Häuser neu zu bauen?

Dominik Bodem (Jahrgang 1973) ist Diplom-Ingenieur im Bereich Architektur. Der leidenschaftliche Marathonläufer ist seit 2014 selbstständiger Baumanager und arbeitet von Coesfeld aus für viele Projekte deutschlandweit. Aktuell liest Dominik das Buch “21 Lektionen für das 21. Jahrhundert” von Yuval Noah Harari.

Dominik, das typische Aussehen unserer Häuser im Münsterland ist der (tief-)rote Klinker. Aufgrund der klimatischen Veränderung mit mehr Hitzetagen ist diese Art des Bauens allerdings nicht mehr ganz zeitgemäß. Wie wird oder auch muss sich das äußere Erscheinungsbild unserer Häuser in Zukunft verändern?

Wir leben hier in einer Region mit wenig Wäldern und bindigen Böden. Der rote Klinker an sich ist gar nichts schlechtes. Klinker ist ein natürlicher Baustoff, der seit Jahrtausenden verwendet wird. Das sind gebrannte Ziegelsteine, dessen Rohmaterial meistens hier aus der Umgebung kommt. Auch haben wir einige Klinkerhersteller, z. B. in Gescher, Stadtlohn oder Münster. Das sind regionale und regionaltypische Produkte, dessen Rohmaterial auch hier aus der Region kommt. Beim Bauen werden verschiedene Arten von Ziegeln verwendet. Verwendet werden Ziegel die im Wasserstrich-, Strangpress-, Handform-, oder Ringofenverfahren hergestellt werden. Bevor es zum Brennvorgang kommt, werden die Rohlinge bei etwa 100°C getrocknet und dann bei 1.000°C bis 1.300°C bis zur Sinterung gebrannt. Für den Brennvorgang dieses Materials braucht man sehr viel Energie, die in der Regel aus Gas, Öl oder Kohle kommt. Die sind natürlich problematisch, solange dafür fossile Energie verwendet wird. Im Zuge der Energiewende in der Industrie wird sicherlich hierfür eine Lösung gefunden werden. In den letzten Jahren kommen vermehrt helle Klinkersteine zum Einsatz. Diese heizen sich weniger stark auf und tragen somit zu einem verbesserten Innenstadtklima bei.

Der typische Klinker aus dem Münsterland ist laut Dominik Bodem längst nicht so pflegebedürftig wie eine Putzfassade und kann beim Abriss zu mindestens getrennt werden.

Auch muss man sagen, dass die Alternative, eine Putzfassade, wesentlich pflegebedürftiger ist als eine Klinkerfassade.  Putzfassaden müssen regelmäßig gestrichen werden. Putzfassaden bekommen fungizide oder algizide Anstriche. Das ist eine Beimengung von Chemikalien, die dafür sorgen, dass es keine Veralgung an den Fassaden gibt. Diese Chemikalien waschen sich jedoch mit der Zeit aus und gelangen somit über den Boden in unser Grundwasser. Da gehören sie nicht hin.

Beim späteren Abriss eines Gebäudes kann man die drei Elemente – Hintermauerwerk oder Beton, Wärmedämmung und den Klinker – dann auch sauber und sortenrein trennen. Bei Putzsystemen geht dies leider nicht. Da weiß kaum einer, wie man das später entsorgen wird. Beschäftigen sollten wir uns intensiv mit der Begrünung unserer Gebäude und Städte.

Alle Flachdächer lassen sich direkt begrünen. Nicht nur das Gartenhäuschen.

Allein die vielen Flachdächer unserer Gebäude lassen sich großteils begrünen. Hierdurch lassen sich Oberflächentemperaturen deutlich reduzieren, Regenwasser verdunstet über die Dachbegrünung, was sich positiv auf das Stadtklima auswirkt.

Auch das Thema Beton bzw. Zement ist sehr spannend. Laut der Heinrich-Böll-Stiftung erzeugt eine Tonne Zement, einer der Hauptbestandteile von Beton, bis zu 600 kg CO₂ freigesetzt werden. Somit verursacht die weltweite Zementproduktion viermal so viel Kohlendioxid–Ausstoß wie der gesamte internationale Flugverkehr und ist für rund acht Prozent der globalen CO2–Emissionen verantwortlich. Was sind die Alternativen und wie weit ist die Baubranche allgemein bei diesem Thema?

Beton wird hauptsächlich bei erdberührenden Bauteilen eingesetzt, wie Untergeschosse,  Bodenplatten, Tiefgaragen. Betonbau hat sich etabliert, weil dadurch neue Spannweiten möglich wurden. Stützenfreies Bauen war auf einmal möglich, was anders ist als im Mauerwerksbau, also wo die Mauern gemauert werden.

Im Ergebnis müssen wir allerdings weg von allen mineralischen Baustoffen.

In China wurden in den letzten 20 Jahren mehr Beton – mehr Zement verarbeitet als in den USA in den letzten 100 Jahren. China ist ein wahnsinniger Markt und er ist ja auch nur ein Markt. Anderen Schwellenländer werden natürlich auch aufholen wollen. Die wohnen häufig in Baracken und wenn die alle unseren Lebensstandard haben, dann ist Feierabend. Wir erzeugen jedes Jahr 11t CO2 pro Nase, aber unser Klima verträgt nur eine Tonne pro Person aus. Die Rechnung geht ja nicht auf. Da bleibt für das Bauen eigentlich nichts mehr übrig.

Wir erzeugen jedes Jahr 11t CO2 pro Nase, aber unser Klima verträgt nur eine Tonne pro Person aus. Die Rechnung geht ja nicht auf. Da bleibt für das Bauen eigentlich nichts mehr übrig.

Aktuell haben wir ca. 47qm Wohnraum pro Nase, Tendenz steigend. Davon müssen wir weg. Um es verträglich zu halten müssen wir runter auf 40qm/pro Person. Dann müssen wir auch nicht 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen, wenn die Wohnfläche gerechter verteilt würde. Ich möchte damit sagen: Wir haben keinen zusätzlichen Bedarf an Wohnfläche, weil die Bevölkerung in Deutschland ja auch nicht mehr so stark wächst. Der Bedarf, der aktuell abgebildet wird, kommt durch eine Verlagerung zustande. Viele Menschen möchten in Ballungsräumen und alleine in einer Wohnung leben. Viele Familien möchten in Ein-Familien-Häusern wohnen.

Beton können wir nur stellenweise durch Holz ersetzen, aber das wird dem Problem nicht gerecht. Die Forste schaffen das aber nicht, auch das ist nicht zukunftsfähig.

Erforscht wir zunehmend die Verwendung von Abbruchbeton, erste gebaute Beispiele entstehen derzeit. Gut wäre, es würden weitere Bauten folgen. Der Bund, Städte und Kommunen könnte hier eine Vorreiterrolle einnehmen und die Verwendung von Recyclingbaustoffen fördern.

Die tatsächlichen Kosten vom Zement oder den rigorosen Abbau von Mineralien wie Kies, das ist ja gar nicht ehrlich bepreist. Ein neues Handeln wird ja erst dann geschehen, wenn die tatsächliche Bepreisung stattfindet. Das ist momentan noch nicht der Fall.  Dann würde sich zukünftig auch niemand mehr das Bauen leisten können.

Das Haus deckt meist nur eine Lebenssituation ab. Daher empfiehlt Dominik Bodem weitsichtiges planen.

In Coesfeld warten rund 600 Familien auf einen Bauplatz. Auf der anderen Seite sollten wir möglichst schonend mit unseren Freiflächen umgehen. Wie können wir das vereinbaren?

Die Einwohnerzahl der Stadt Coesfeld ist in den letzten Jahren nicht mehr stark gewachsen. Ich sehe den Bedarf an neuen Wohngebieten nicht, sehe hier verschiedene Lösungsmöglichkeiten.

Eine ist unbequem, aber einfach: Zum Beispiel mit den eigenen Eltern besprechen, ob das Haus noch die richtige Wohnform für sie ist, oder ob der Umzug in eine Wohnung ihnen das Leben sogar erleichtern würde. Dann könnte das Elternhaus von der nächsten Generation den Bedürfnissen angepasst und weiter genutzt werden. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag.

Eine weitere Lösung ist, eine angemessene Nachverdichtung bestehender Wohnquartiere, auch mit Wohnungen in den Quartieren, denn meist möchten die Menschen ihr gewohntes Umfeld mit lieb gewonnenen Menschen nicht verlassen. Beides hat den Vorteil gegenüber neuen Baugebieten, dass keine weiteren Flächen für zusätzliche Infrastruktur verbraucht wird. Junge Familien bauen in den meisten Fällen Ein-Familien-Häuser, die total unflexibel sind.

Viele Häuser sind laut Dominik Bodem nicht für die natürlichen Veränderungen des Lebens gewappnet.

Sie bauen zu groß, auf mehreren Ebenen, nicht barrierefrei, was im Alter zu Problemen führen kann. Ein-Familien-Häuser, in ihrem meist gebauten Konzept, bilden die optimale Wohnform nur für einen sehr kurzen Zeitraum ab, wo Du genau dieses Haus benötigst. Die längste Zeit ihres Lebens wohnen die Menschen in einem viel zu großen Haus. Diese Häuser entsprechen dann nicht mehr den Bedürfnissen der Menschen, die dort leben.

Wir müssen davon wegkommen, dass wir in unserer Vorstellung Häuser ein Leben lang bewohnen.

Wir sollten flexibler wohnen. Das bedeutet auch, dass wir nicht nur unsere Häuser flexibler gestalten müssen, sondern wir selbst auch flexibler werden müssen. Und ja, wir sollten unseren Bedürfnissen entsprechend wohnen und bei Bedarf ein neues, bedarfsgerechtes Zuhause suchen. Das klassische Einfamilienhaus ist im ländlichen Raum für Familien eine erstrebenswerte Wohnform, doch ist sie das auch bis ins hohe Alter? Im Alter, wenn die Kinder die Häuser verlassen haben, werden wir mit anderen Themen konfrontiert. Vereinsamung, Pflegebedürftigkeit Unterstützung im Haus und Garten werden dann zur Aufgabe. Generell müssen wir mehr Menschen unter ein Dach bringen.

Ist Nachhaltigkeit bei Architekten im Studium ein Thema? War das früher ein Thema?

Ich bin 49 Jahre alt. Während meines Studiengangs war da überhaupt noch nicht die Rede von. Das Thema war nicht präsent. Mittlerweile gibt es dafür eigene Studiengänge z.B. Energieeffizientes Bauen, Nachhaltige Gebäudetechnik. Auch “laufen” Forschungsaufträge und Reallabore zu Themen wie die Wiederwendung von Beton oder Ziegel und anderen Baustoffen und ganzen Bauteilen, wie z.B. Fenstern, Thema “Urban Mining”. Das ist aber alles noch recht neu. Meist entstehen diese Dinge an Orten mit Universitäten oder Hochschulen oder in Ihrer Nähe. Bis das im ländlichen Raum ankommt, vergehen meist ein paar Jahre. Tatsächlich braucht das zu lange.

2 Kommentare

  1. Matthias Matthias

    Toller Beitrag den ich mit großem Interesse gelesen habe. Ich glaube viele Menschen beschäftigt das Thema Bauen, die wie ich in den 30ern früher einmal dachten dass sie sich um diese Zeit herum ihr eigenes Haus bauen würden.

    Zum ersten Mal verstehe ich, warum manche Parteien angeblich das Einfamilienhaus loswerden möchten. Mir leuchtet schon ein dass ein Einfamilienhaus bei allen (Klima-) Kosten die es verursacht unflexibel ist.

    Dabei fehlt mir aber ein ganz entscheidender Punkt: Es geht beim Bau des eigenen Hauses auch um den eigenen Privatraum. Genug buchstäblichen Abstand zum Nachbarn damit ich im Haus und Garten tun und lassen kann was ich will, mich ausbreiten und bleiben kann. Schon in einem Mehrfamilienhaus geht das nicht ohne Einschränkungen und in einer Stadtwohnung erst recht nicht – und ich glaube dass Menschen diese Art Freiheit eigentlich brauchen um gesund zu leben.

    Der Autor hat schon recht damit, dass wir mehr Flexibilität brauchen – aber auch immer die Möglichkeit zum Abstand und zum Rückzug. Das muss bedacht werden wenn wir „generell mehr Menschen unter ein Dach bringen“.

    • Hallo Matthias,
      danke für dein Interesse und deine Gedanken zu diesem Thema.
      Viele Grüße,
      Susanne

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert