Last updated on 12. August 2022
Julika Fritz (Jahrgang 1992) ist seit Dezember 2019 Klimaschutzmanagerin der Stadt Coesfeld. Die studierte Landschaftsökologin (M. Sc.) liest aktuell „How Not To Die“ von Michael Greger, wo es um den Zusammenhang zwischen veganer Ernährung und Gesundheit geht. Im Januar 2022 bekam sie für diesen Aufgabenbereich mit Johanna von Oy weitere Unterstützung im Rathaus. Auf Johannas Nachtisch liegt das Buch „Was Männer nie gefragt werden – Ich frage trotzdem mal“ von Fränzi Kühne. Sie studierte Staatswissenschaften (B.A) und angewandte Nachhaltigkeit (M. Sc.)
Die Stellen der Klimaschutzmanager:innen gibt es im Coesfelder Rathaus seit Dezember 2019 bzw. die zweite Stelle seit Januar 2022. Wie kann ich mir euren Alltag bzw. eure Aufgaben vorstellen? Was liegt in eurer Verantwortung?
Unsere Aufgaben umfassen Klimaschutz und Klimaanpassung. Das Klimaschutzkonzept, also das Integrierte Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzept der Stadt Coesfeld (IKK) ist die Grundlage unserer Arbeit und dafür wurden wir eingestellt. Daneben betreiben wir Öffentlichkeitsarbeit und vernetzen, beraten, informieren und unterstützen Akteure aus unterschiedlichen Zielgruppen, wie z.B. Bürger:innen, die Wirtschaft und auch hier hausintern.
Wir haben viele eigene Ideen, aber die Politik hat auch viele Ideen, die regelmäßig hinzukommen. Wir versuchen je nach verbleibender Kapazität, auch unsere eigenen Ideen umzusetzen. Der Klimaschutzfonds kam zum Beispiel aus der Politik, welchen wir dann umgesetzt und die Förderkriterien ausgestaltet haben. Eine eigene Idee, die wir umgesetzt haben gehört zur hausinternen Vernetzung: Wir sind dabei eine Struktur aufzubauen, sodass Klimaschutz und Klimaanpassung langfristig in jedem Fachbereich und jedem Team mitgedacht werden.
Lass uns mal konkreter werden: Nehmen wir an, es entsteht in Coesfeld ein neues Wohnbaugebiet. Der erste Schritt wäre dann ja ein Bebauungsplan. Wo finde ich dort euren „Abdruck“, also was sind Aufgabenbereiche, die ihr während der Planung mit eingebracht haben könntet?
Die Erstellung der Bebauungspläne ist in einem anderen Fachbereich, dem Fachbereich 60 Planung, Bauordnung, Verkehr angesiedelt. Dort werden wir aber mit eingebunden, indem wir Stellungnahmen schreiben oder in persönlichen Gesprächen die Aspekte des Klimaschutzes mit einbringen. Ein Beispiel ist die Entwicklung des Kapuzinerquartiers, bei dem das Klimaschutzmanagement am Investorenwettbewerb beteiligt ist und bei der Auswertung der Konzepte mitarbeiten wird. Im Vorfeld wurden Nachhaltigkeitskriterien mit in den Prozess eingebracht, wie erneuerbare Wärmeversorgung im Quartier. Auch bei zukünftigen Baugebieten bringen wir Anforderungen für Klimaschutz und Klimaanpassung mit ein. Auch den Kolleg:innen aus dem Fachbereich 60 ist das Thema Klimaschutz ein Anliegen. Ihnen sind jedoch rechtlich aus städtebaulicher Sicht teilweise Grenzen gesetzt, da nach dem BauGB immer eine Abwägung der unterschiedlichen Belange erfolgen muss. Klimaschutz hat da schon mehr Gewicht bekommen als früher, es gibt aber immer auch andere wichtige öffentliche und private Belange, die zu berücksichtigen sind und das Thema Klimaschutz darf bei der Erstellung (noch) nicht bevorzugt behandelt werden. Um hier einen weiteren Schritt Richtung Klimaschutz zu gehen, hat der Rat der Stadt Coesfeld am 23.06.2022 beschlossen, dass nach dem Vorbild der Stadt Hamm verbindliche Standards für eine klimawandelgerechte Bauleitplanung in Coesfeld erarbeitet werden, die dann als Selbstbindungsbeschluss dem Rat vorgelegt werden sollen.
Als Umweltbewegung fordern wir das Einhalten des 1,5 Grad Zieles. Um überhaupt sich auf den Weg dorthin zu machen, benötigt man eine Bestandsaufnahme, was die eigenen Emissionen angeht. Ab wann kann die Stadtverwaltung aufzeigen, wie viel Emissionen städteweit aktuell ausgestoßen werden und wie funktioniert dieses Verfahren?
Die aktuellsten Werte der städtischen Energie- und Treibhausgas-Bilanz stammen aus dem Jahre 2016, daher haben wir nun begonnen die Bilanz fortzuschreiben. Es kann allerdings keine aktuellere Bilanz als zwei Jahre in die Vergangenheit aufgestellt werden, sodass die aktuelle Fortschreibung nun die Jahre 2017 bis 2020 umfassen wird. Für das Jahr 2022 könnte die Bilanz also frühestens im Jahr 2024 ermittelt werden. Das liegt daran, dass in der verwendeten Software essentielle Hintergrundwerte noch nicht zur Verfügung gestellt werden können. Dabei handelt es sich im Besonderen um die Emissionsfaktoren zur Berechnung der Treibhausgasemissionen, sowie um den gesamten Sektor Verkehr. Die Software ist an vielen Stellen auf die Datenlieferung Dritter angewiesen und führt erst bei Vorliegen aller relevanten Daten die entsprechende Aktualisierung im Tool durch. Für 2020 sollte dies bald der Fall sein.
Wir verwenden hierbei den vom Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) entwickelten „Bilanzierungs-Standard Kommunal“ (BISKO). Das ist eine standardisierte Methodik, welche die einheitliche Berechnung kommunaler THG-Emissionen ermöglicht und somit eine Vergleichbarkeit der Bilanzergebnisse zwischen den Kommunen erlaubt. Weitere Kriterien sind u. a. die Schaffung einer Konsistenz innerhalb der Methodik, um insbesondere Doppelbilanzierungen zu vermeiden, sowie zu anderen Bilanzierungsebenen wie regionale oder nationale.
Das Bilanzierungsprinzip nennt sich die Endenergiebasierte Territorialbilanz. Es betrachtet alle im Untersuchungsgebiet anfallenden Verbräuche auf Ebene der Endenergie, welche anschließend den einzelnen Sektoren zugeordnet werden. Die standardmäßige Unterteilung sind die Bereiche Private Haushalte, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen (GHD), Industrie / verarbeitendes Gewerbe, kommunale Einrichtungen und der Verkehrsbereich. Anhand der ermittelten Verbräuche und energieträgerspezifischer Emissionsfaktoren werden anschließend die THG-Emissionen berechnet.
Neben CO2 werden andere Treibhausgase (bspw. N2O oder CH4) als CO2-Äquivalente und auch Vorketten werden bei den Emissionsfaktoren berücksichtigt. Hierbei fließen nur die Vorketten energetischer Produkte, wie der Abbau und Transport von Energieträgern oder die Bereitstellung von Energieumwandlungsanlagen in die Bilanzierung mit ein. Sogenannte graue Energie, wie beispielsweise der Energieaufwand von konsumierten Produkten sowie Energie, die von den Bewohnern außerhalb der Stadtgrenzen verbraucht wird, findet keine Berücksichtigung in der Bilanzierung. Auch wird bei Bilanzierung von Strom der Bundesmix genutzt und die Bilanz ist nicht witterungskorrigiert.
Wir treffen uns am heißesten Tag des Jahres (19. Juli). Deswegen müssen wir auch darüber sprechen: In Deutschland sterben laut einem Artikel der ‚Zeit‘ in heißen Sommern mehr Menschen an Hitze, als durch Unfälle im Straßenverkehr. (Quelle) Kommunen sind dafür verantwortlich, sogenannte Hitzeaktionspläne zu erarbeiten, um Bürger:innen vor extremer Hitze zu schützen. Wie ist hier die Stadt Coesfeld aufgestellt?
Die Frage, wie gut die Stadt Coesfeld bereits aufgestellt ist, ist quantitativ schwierig zu beantworten. Im European Climate Adaptation Award (ECA)-Prozess wird die Stadt Coesfeld mit einem Punktesystem bewertet. Hier werden aber alle Klimafolgen gemeinsam betrachtet und nicht bspw. Hitze isoliert. Der Kreis Coesfeld entwickelt im Zuge des Projekts ‚Evolving Regions‘ zur Klimafolgenanpassung eine Klimawirkungsanalyse (KWA), die die Betroffenheit einzelner Gebiete darstellt. Die Klimawirkung ist dabei der ausgegebene Wert, der aufzeigt, wo eine Region besonders gefährdet ist durch Klimafolgen wie z.B. Hochwasserereignisse aufgrund von Starkregen, Hitze, Dürre, usw. Der Wert verschneidet Klimafolgen und Sensitivität, sodass eine Klimawirkung bspw. nicht (so stark) hervorgerufen wird, wenn eine Wiese potenziell überschwemmt wird, wohl aber, wenn z.B. Wohnbebauung betroffen ist. Hierbei sind die ausgegebenen Werte für die Betroffenheit keine absoluten Werte, sondern vergleichend zu anderen Bereichen zu sehen. Es kann sich also angeschaut werden, welche Gebiete besonders betroffen sind – auch im Speziellen durch Hitze.
Konkrete Hitzeschutzkonzepte sind keine Pflichtaufgabe von Kommunen.
Es wurden aber bereits viele Maßnahmen in Coesfeld umgesetzt oder sind in Planung, die Bürger:innen vor Hitze schützen sollen. Um nur einige zu nennen: Mobile Bäume in der Innenstadt, Beschattungsmaßnahmen bzw. Bedachung sowie Grün- und Wasserflächen am Gemeindeplatz Lette, Pflanzung von klimaresistenten Bäumen bei Neupflanzungen oder in Neubaugebieten oder auch Entsiegelungsmaßnahmen an Schulhöfen. Natürlich gilt es aber noch weitere Maßnahmen umzusetzen, um die Bürger:innen in Coesfeld möglichst gut in Hitzeperioden zu schützen.
Eine zentrale Aufgabe jeder Kommunalverwaltung in Deutschland ist die Daseinsvorsorge durch die Bereitstellung von Leistungen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art, „derer der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf“. Zählt ein Hitzeaktionsplan nicht hierzu?
Natürlich wird es in der Daseinsvorsorge immer wichtiger, Bürger:innen vor den Klimafolgen, auch vor Hitze und deren Auswirkungen, zu schützen. Ein Hitzeaktionsplan ist eine Möglichkeit, dies zu tun. Die Stadt Coesfeld schaut sich die Klimafolge Hitze und einen geeigneten Umgang damit im ECA-Prozess an und entwickelt in diesem Zuge entsprechende Maßnahmen.
Laut dem Umwelt Bundesamt, dem UBA, wird für Coesfeld und das gesamte Münsterland die größte Herausforderung das Thema Winderosionen in Verbindung mit Trockenheit sein. (Quelle). Das UBA schlägt Maßnahmen für Kommunen, aber auch für andere Stakeholder wie Landwirtschaft und Forstwirtschaft vor. Wie kann eine Stadt alle Stakeholder an einen Tisch bekommen und wie kann man verbindliche Abkommen verabreden?
Im Zuge des Projekts Evolving Regions vom Kreis Coesfeld wurde ein Netzwerk aufgebaut, in dem sowohl die Stadt Coesfeld als auch Landwirtschaft und Forstwirtschaft vertreten sind und entsprechend an dem Projekt mitgearbeitet haben. Das Thema Winderosion wurde im Themenfeld Klimagerechte Landnutzung in diesem Projekt mit betrachtet. Auf das Netzwerk könnte die Stadt Coesfeld bei Bedarf zurückgreifen. Es gilt dabei immer doppelte Strukturen oder doppelte Arbeit an einem Thema zu vermeiden, damit wir effizienter vorankommen. Hier kann die Stadt Coesfeld also auf die Ergebnisse zurückgreifen, die vom Kreis entwickelt wurden und daran anknüpfen.
Verbindliche Abkommen, auch zu Maßnahmen, müssten durch den Stadtrat oder Kreistag beschlossen werden. Sie haben jedoch keine Befugnis über Landwirtschaft und Forstwirtschaft. Eine politische Beschlussfassung zur Verstetigung der Tätigkeiten im Bereich Klimafolgenanpassung im Kreis ist auch Ziel des Evolving Regions-Projekts, welches zum Jahresende ausläuft.
Die Stadt Coesfeld hat im Bereich Winderosion in den letzten 30 Jahren schon eine Menge gemacht. So wurden an den Wirtschaftswegen überall dort wo es möglich ist Baumreihen und Heckenstreifen gepflanzt. Die Pflege der Baumreihen und Hecken ist eine wichtige kontinuierliche Aufgabe des Baubetriebshofes und umfasst etwa zwei Vollzeitstellen.
Was natürlich jede:n von uns noch als Abschluss interessiert: Für welche Projekte bekommen Coesfelder:innen aktuell eine finanzielle Unterstützung in Form einer Förderung für Klimaschutzprojekte?
Auf unserer Klimaschutzseite https://www.coesfeld.de/klimaschutz finden Bürger:innen alle Informationen, auch zu aktuellen Fördermöglichkeiten.
Informationen zum Klimaschutzfonds, dem städtischen Förderprogramm, gibt es hier: https://www.coesfeld.de/klimaschutz/projekte/klimaschutzfonds. Aufgrund eines sehr hohen Antragsaufkommens können allerdings zurzeit nur noch Anträge für die Fördergegenstände Lastenrad, Fahrradanhänger, Anlegen von Blühflächen und Individuelles Klimaschutzprojekt/Bürger:innenengagement gestellt werden.
Transparenzhinweis: Das Interview ist eine Mischung aus mündlichem Gespräch und schriftlichen Antworten. Auf Wunsch der Interviewpartnerinnen sind die Antworten der Personen zusammengefasst.