Last updated on 14. April 2023
In romantischen Vorstellungen vom idyllischen Landleben spielen oft Bilder von durch Bäume und Hecken gegliederten Agrarlandschaften die Hauptrolle. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Ausgeräumte Landschaften, die fast bis zum Horizont reichen, und riesige Maschinen, die über ebenso riesige Felder fahren, prägen das Bild. Doch in den letzten Jahren, vor allem seit der Klimawandel für alle sichtbar und spürbar wird, taucht immer häufiger der Begriff „Agroforstwirtschaft“ auf. Wir erklären, was es damit auf sich hat.
Deshalb müssen wir darüber sprechen
Vertrocknete Maisfelder mit minimalem Ertrag, fünf viel zu trockene Jahre fast hintereinander, Erosion durch den Wind, der im Sommer den wertvollen Oberboden mit Sandwolken wegweht, Rinnen auf den Feldern, weil Starkregen den wenig durchwurzelten und humusarmen Boden einfach wegspült. Immer kahler werdende Landschaften und immer weniger Insekten und Vögel als sichtbare Zeichen der schwindenden Artenvielfalt. Auch im Kreis Coesfeld hat das in den letzten Jahren deutliche Spuren hinterlassen. In ausgetrockneten Landschaften weht der Wind den wertvollen Oberboden kilometerweit weg und verursacht Unfälle. Starkregen spült metertiefe Rinnen in die Felder und vernichtet die Ernte. Eine Bewässerung der ausgetrockneten Felder ist wegen der hohen Kosten keine nachhaltige Lösung.
Das sind besorgniserregende Entwicklungen, die aufzeigen, dass es dringend notwendig ist, nachhaltigere und ressourcenschonendere Formen der Landwirtschaft zu fördern. Die Agroforstwirtschaft könnte hierbei eine vielversprechende Lösung darstellen.
Definition"Agroforst": Bei der Agroforstwirtschaft werden Bäume und andere mehrjährige holzige Pflanzen auf einer landwirtschaftlich genutzten Fläche etabliert, um die positiven Wechselwirkungen zwischen beiden Komponenten zu nutzen.
Was bedeutet Agroforstwirtschaft?
Schon seit einigen Jahren, aber vor allem, seit der Klimawandel für alle sichtbar und fühlbarer wird, taucht der Begriff „Agroforstwirtschaft“ häufiger auf. In dem Wort stecken die Bestandteile „Agro..“ für Landwirtschaft und „..forst“ für den Wald. Dabei kann die Fläche unter den Bäumen entweder für garten- und ackerbauliche Kulturen (silvoarables System) oder als Weidefläche (silvopastorales System) genutzt werden. Ebenso ist eine Kombination aus beidem möglich. Ziel ist es, die Felder ökonomisch, ökologisch und auch landschaftsästhetisch aufzuwerten.“ (Agroforstsysteme, o. D.)
Woher kommt der Begriff Agroforstsystem?
Landwirtschaft unter Bäumen spielte lange schon in tropischen Ländern eine Rolle, denn viele Kulturen wachsen besser unter einer Beschattung, während die Mittagssonne täglich heiß herunterbrennt. Kulturen wie Kaffee, Kakao oder Bananen wären ohne Beschattung kaum möglich.
Aus tropischen Wäldern ist eine Landwirtschaft bekannt, welche die verschiedenen Etagen eines Waldes ausnutzt: Am Boden die Krautschicht, im Boden Wurzeln, daneben Sträucher mit Beeren und Bäume mit Früchten. Diese Waldgärten ernähren Menschen und Tiere, bieten Bau- und Feuerholz und lassen genügend Platz für Artenvielfalt.
Wie sieht es mit Agroforst in Europa aus?
Traditionell findet man dafür etliche Beispiele, ob es die Rentiere in Lappland sind, die halbwild durch die Tundra streifen, die Hutewälder in Mittel- und Südeuropa oder die Streuobstwiesen. Auch heute noch werden in Spanien Schweine in Wäldern unter Stein- und Korkeichen gehalten. In Griechenland wurde und wird Gemüse auf Terrassen unter Apfel- und Nussbäumen angebaut. Olivenbäume schützen in Italien Hühner. Die halten sich überhaupt gerne unter Sträuchern und Bäumen auf, wo sie oft Schutz vor Greifvögeln suchen.
In Frankreich haben die agroforstwirtschaftlich genutzten Flächen in den letzten Jahren stark zugenommen, da der Klimawandel dort noch stärker und früher zu spüren war. Vor allem Weinbauern versuchen schon, ihre Trauben durch teilweise Beschattung zu schützen. (Koeppler & Erl, 2022) In Frankreich beschäftigt sich die Forschung schon seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema. Auch auf der Ebene der EU lief von 2014 – 2017 ein umfassendes Forschungsprojekt, das beispielsweise die Tierhaltung in Agroforstsystemen untersuchte. Dabei ging es um Beispiele in den Niederlanden, Dänemark, Großbritannien, Italien, Spanien und Frankreich. (Summary, o. D.)
Wie sieht es in Deutschland aus?
In Deutschland steckt die Beschäftigung mit Agroforstsystemen noch ziemlich in den Kinderschuhen, von einigen Pionieren mal abgesehen. In der EU ist etwa jeder 10. Hektar Landwirtschaftsfläche ein Agroforstsystem. Dagegen haben sich von ca. 250 000 landwirtschaftlichen Betrieben bisher nur einige hundert entschlossen, ihre Äcker umzugestalten. Warum? Dazu mehr weiter unten.
Wie kann ich mir einen Acker mit Agroforst überhaupt vorstellen?
Steht da ein Wald auf dem Acker? Nein, das natürlich nicht. Maximal 40 % einer Ackerfläche sollen mit Bäumen bepflanzt werden. Der Anteil kann auch wesentlich niedriger liegen. Auf einem Acker wechseln sich Streifen mit Bäumen oder Sträuchern mit ca. 30 Meter landwirtschaftlich zu nutzender Fläche miteinander ab. Die Ackerstreifen sind so angelegt, dass sie mit normalen Landmaschinen bewirtschaftet werden können. Möglich ist eine Kombination mit einjährigen Feldfrüchten wie Getreide oder Mais, Grünland oder Tierhaltung, oder auch Gemüseanbau.
Mindern die Bäume nicht den Ertrag des Landwirts?
Nein, im Gegenteil. Der Acker sollte natürlich so eingeteilt werden, dass die Bäume nicht den ganzen Tag Schatten werfen. Dann steigt der Ertrag auf den verbleibenden Flächen sogar.
Welche Vorteile bietet das Agroforstsystem?
Das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft gibt folgende Vorteile an:
- überstehen länger anhaltende Trockenheit besser, weil sich im Schutz der Bäume das Mikroklima auf dem Feld verbessert und weniger Wasser verdunstet.
- schützen den Boden vor Erosion – das heißt vor dem Abtrag von fruchtbarer Erde durch Wind und Wasser. Der Grund: Laub und abgestorbene Wurzeln der Bäume tragen dazu bei, dass auf der Fläche vermehrt Humus entsteht, der den Boden beständiger gegen Erosion und zudem fruchtbarer macht.
- schützt das Grundwasser: Durch die Gehölze gelangen zum einen weniger gefährdende Stoffe wie Dünger und Pflanzenschutzmittel in Bäche und Seen. Außerdem werden Nährstoffe, die bereits in tiefere Bodenbereiche verlagert wurden, durch die tiefreichenden Wurzeln der Bäume aufgenommen.
- leisten einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz, denn im Holz der Bäume und Sträucher werden beachtliche Mengen an CO2 gespeichert.
- sorgen mit ihren Gehölzstreifen für zusätzliche Lebensräume und fördern damit die Artenvielfalt
- erweitern die Produktpalette der Landwirtinnen und Landwirte, zum Beispiel durch den Verkauf (oder die Nutzung) von Brenn- und Wertholz, Obst oder Nüssen.
- bieten mit ihren vielfältigen Bäumen und Sträuchern etwas fürs Auge, in dem sie die heutigen, weitgehend ausgeräumten Agrarlandschaften ästhetisch aufwerten.
(Bundesinformationszentrum Landwirtschaft: Was ist Agroforstwirtschaft?, o. D.)
Welche Nachteile können sich ergeben?
Bis jetzt sind keine Nachteile bekannt, die sich aus dem Anbau ergeben. Die Vorteile überwiegen eindeutig. Das Agroforstsysteme noch nicht weiterverbreitet sind, liegt vor allem daran, dass sie bis zum Beginn diesen Jahres noch nicht als förderungswürdig anerkannt wurden. Das bedeutet, dass Landwirte allein für die entstehenden Mehrkosten bei der Anlage aufkommen mussten. Und Bäume pflanzen ist auch eine ziemlich aufwendige Arbeit. Der Mehrertrag lässt einige Jahre auf sich warten. Bei Bäumen ist es oft eine Investition, die sich erst für die nächste Generation auszahlt.
Wird Agroforst als förderungswürdig angesehen?
Dazu schreibt die Landwirtschaftskammer NRW: „Neu hinzukommen werden die sogenannten Agroforstsysteme, die ab 2023 ebenfalls förderfähig sind. Hierbei ist das vorrangige Ziel, dass auf einer Fläche gleichzeitig eine Rohstoffgewinnung in Form von Holz oder die Nahrungsmittelproduktion in Form des Obstbaus und eine Acker-, Dauergrünland- oder Dauerkulturnutzung erfolgt. … Nicht zum Agroforstsystem zählen hierbei Landschaftselemente und Streuobstwiesen. Die Bäume dürfen nicht mehr als 40 Prozent der Fläche einnehmen.“ (Agrarreform 2023 – ein Überblick – Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, o. D.)
Es wird also nur die Neuanlage von Gehölzstreifen gefördert. Schon bestehende Bäume oder Heckenstreifen in der Landschaft sind nicht förderungswürdig, die Neuanlage von Obstwiesen wird höchstens aus anderen Fördertöpfen bezuschusst.
Und jetzt?
Der Landwirt Jan Große-Kleimann hat in Steinfurt bei Münster dieses vielversprechendes Agroforstsystem implementiert, welches eine nachhaltigere Landwirtschaft ermöglicht. Gemeinsam mit etwa 60 Freiwilligen hat er im November 2022 auf seinem 10 Hektar großen Acker eine Anlage mit Apfelbäumen geschaffen. Das System besteht aus 15 Baumreihen, die sich alle 30 Meter mit Ackerstreifen abwechseln und drei Meter breit sind. Die Finanzierung des Projekts erfolgte durch LEADER Region Steinfurter-Land. Die Beteiligung der Freiwilligen bei der Umsetzung des Systems soll dazu beitragen, die Verbindung zwischen der Region und der Landwirtschaft wieder zu stärken, was für den Familienbetrieb von großer Bedeutung ist.
Quellen
- Deutscher Fachverband für Agroforstwirtschaft (DeFAF) e.V. (2023, 6. Februar). Agroforstwirtschaft – Agroforst. Agroforst. https://agroforst-info.de/agroforstwirtschaft/
- Agroforstsysteme. (o. D.). https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/pflanze/grundlagen-pflanzenbau/regenerative-landwirtschaft/agroforstsysteme/
- Koeppler, A. & Erl, C. (2022, 2. November). Ackern unter Bäumen: Landwirte entdecken die Agroforstwirtschaft. BR24. https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/ackern-unter-baeumen-landwirte-entdecken-die-agroforstwirtschaft,TLOnauJ
- Summary. (o. D.). https://www.agforward.eu/de/silvopastorale-systeme.html
- Bundesinformationszentrum Landwirtschaft: Was ist Agroforstwirtschaft? (o. D.). https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-funktioniert-landwirtschaft-heute/was-ist-agroforstwirtschaft
- Redaktion, W. N. (2022, 31. Oktober). „Ein Agroforst – das ist die Zukunft!“ „Ein Agroforst – das ist die Zukunft!“ https://www.wn.de/muensterland/kreis-steinfurt/kreisseite-steinfurt/ein-agroforst-das-ist-die-zukunft-2650960?pid=true
- Agrarreform 2023 – ein Überblick – Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. (o. D.). https://www.landwirtschaftskammer.de/foerderung/hinweise/agrarreform-2023.htm
- Große-Kleimann. (o. D.). Agroforst – Familienhof Große-Kleimann. Abgerufen am 29. März 2023, von https://grosse-kleimann.de/agroforst/