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Wenn Kinder die Rolle der Eltern übernehmen – Parentifizierung in der Klimakrise 

Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut“. Diese Rufe kann man regelmäßig auf Klimastreiks von Jugendlichen und Kindern hören. Was aber meint dieser Ruf eigentlich und welche Verantwortung tragen erwachsende Menschen für die Zukunft der folgenden Generationen?

Deswegen müssen wir darüber sprechen 

Die Verantwortung für den Erhalt unserer Welt liegt eigentlich bei den Erwachsenen. Doch was wir derzeit erleben, ist alles andere als eine Sicherung der Lebensgrundlagen für die nächsten Generationen. Für das, was die Erwachsenen versäumt haben, müssen später die Kinder geradestehen. Heranwachsende Kinder nehmen dies wahr und beginnen sich zu mobilisieren, um sich Gehör zu verschaffen und die Entscheidungsträger: innen zum notwendigen Handeln zu bewegen. Es findet eine Umkehr der Verantwortungsrollen statt. 

Die Generation der Klimaaktivist:innen 

Ich mache das, weil ihr Erwachsenen auf meine Zukunft scheißt!

Greta Thunberg

Mit gerade einmal 16 Jahren sprach Greta Thunberg vor der UN-Klimakonferenz. In ihrer Rede prangerte sie die Verantwortungslosigkeit der Entscheidungsträger an. „Sollten die Regierungschefs dieser Welt uns im Stich lassen, wird meine Generation ihnen das nie verzeihen“. (Thunberg 2019) 

2018 initiierte sie den ersten „Schulstreik fürs Klima“, zuerst agierte sie allein und schließlich wuchs es zu einer globalen Bewegung heran: Eine Masse von Schüler:innen, die sich weigerten, zur Schule zu gehen, wenn ihre Zukunft nicht gesichert sei. So solidarisierten sich Parents For Future, Grandparents For Future und andere für eine enkeltaugliche Zukunft. 

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Was bedeutet Parentifizierung?

Definition: Der Begriff Parentifizierung stammt aus der Familientherapie und bezeichnet eine Übertragung der Elternrolle auf das Kind.  

Das Kind übernimmt Aufgaben, für die eigentlich die Eltern zuständig sind, um einen geschwächten Elternteil zu kompensieren. Diese Rollenumkehr führt zu einer Überforderung und erweist sich später als schädlich für die psychische Entwicklung des Kindes. (Simon et al. 2004)

Demoschild eines Kinder während einer Demonstration in Coesfeld.

Ein Beispiel aus alkoholbelasteten Familien ist, wenn Kinder früh altersunangemessene Verhaltensweisen aufzeigen. Die klassische Parentifizierung zeigt sich dann als Übernahme von Hausarbeit, Regelung von finanziellen Angelegenheiten oder Versorgung der Geschwister. Als besonders problematisch erweist sich in diesen Fällen die Unberechenbarkeit des elterlichen Verhaltens. Die Kinder zeigen ein ambivalentes Verhalten, das einerseits von Hass und andererseits von Fürsorge geprägt ist. (Klein 2021)  

Die Verantwortung für die Folgen der Klimakrise liegt bei den Erwachsenen. Wir Erwachsenen kennen die Möglichkeiten, die Klimafolgen zu reduzieren. Die Verantwortung ist groß, sie lastet auf unseren Schultern und kann auch beängstigend sein. Aber wie bei der Erziehung von Kindern ist, diese Verantwortung unkündbar, global und dauerhaft. (Dohm 2020) 

Gründe für die fehlende Verantwortungsübernahme 

Zum einen ist die Klimakrise für den menschlichen Verstand schwer zu fassen, weil Ursache und Wirkung nicht gleichzeitig auftreten. Zum anderen ist die Klimakrise mit Gefühlen der Angst, der Schuld, der Wut und der Hilflosigkeit verbunden – Gefühle, denen sich verständlicherweise niemand aussetzen möchte. Deshalb entwickeln viele Menschen psychischen Abwehrmechanismen, um Verantwortung von sich zu weisen und ihr Verhalten zu rechtfertigen.  

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Klimaangst bei Kindern und Jugendlichen und ihre wahrgenommenen Reaktion der Regierung 

Der Klimawandel hat Auswirkungen auf die Gesundheit und die Zukunft von Kindern und Jugendlichen, gleichzeitig haben sie wenig Einfluss auf die Begrenzung der Klimakrise, was sie anfällig für Klimaangst macht. In einer großen Studie von 2021 wurden mehr als 10.000 Kinder und Jugendliche (im Alter von 16 bis 25 Jahren) zum Thema Klimaangst befragt. Dabei wurde festgestellt, dass 45 % unter Ängsten und Problemen leiden, die ihr tägliches Leben beeinflussen. 75 % der Jugendlichen mit Angst in die Zukunft blicken. 83 % sagen, dass die Menschen es versäumt haben, sich um den Planeten zu kümmern, und berichten von einem Gefühl des Verrats. Klimaangst ist keine psychische Krankheit, sondern zunächst eine normale Reaktion. Allerdings führe die mangelnde Zukunftsorientierung der Regierung zu unvermeidbaren Stressfaktoren und psychischen Folgen, so die Forscher. (Hickman et al., 2021) 

Parentifizierung in der Klimakrise 

Kinder laufen Gefahr, parentifiziert zu werden, wenn ihnen die Orientierung im Zusammenleben mit Erwachsenen fehlt. Die Klimaschutzbewegung der Fridays for Future ist als eine einzige Parentifizierung zu verstehen. Die Menschheit verhält sich zerstörerisch gegenüber sich selbst, den natürlichen Prozessen und den zukünftigen Generationen. Es ist wichtig, die Grenzen der natürlichen Lebensbedingungen wieder wahrzunehmen und daraus Konsequenzen zu ziehen.   

Inzwischen hört man auf den Klimademos die Kinder laut rufen: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut“. Sie benennen in ihrem Demos, dass es die Erwachsenen sind, die klare Grenzen benötigen, die von Politiker:innen und Wissenschaftler:innen mit ihrem Fachwissen definiert werden sollten. (Meerwein 2019) 

Folgen von Verantwortungsübertragung der Klimakrise an unsere Kinder 

Der weltbekannte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber äußert seine große Sorge über eine Rollenumkehr von Erwachsenen zu Kindern: Wenn sich die gesellschaftlichen Entscheidungsträger:innen weiterhin aus der Verantwortung stehlen, laden junge Klimaaktivist:innen die Verantwortung für die Zukunft auf sich. Es sei tragisch, dass 16-Jährige wie Greta Thunberg eine Heldin sein müsste. In dieser Verantwortungsübernahme können Kinder ausgebrannt und depressiv zurückbleiben. Um die Gesundheit unserer Kinder zu schützen, müsse die Parentifizierung dringend rückgängig gemacht werden. (Schellnhuber 2020) Sprecher:innen aus der Klimabewegung sehen weitere Folgen in der mangelnden Handlung der Regierung. Sie bezeichnen radikale Protestformen wie die der “Letzten Generation” als logische Konsequenz. Viel zu lange habe sich die Menschheit aus der Verantwortung gestohlen und sei ihrer Aufgabe nicht nachgekommen, argumentiert die Bewegung. (Edelhoff et al 2022) 

Und JETZT? 

Wie Erwachsene ihre Verantwortung gerecht werden können

Der erste Schritt ist: Wir müssen unsere Komfortzone verlassen.  Damit wir aktiv werden, brauchen wir ein persönliches Warum. Eine tiefe innere Überzeugung motiviert uns. Wenn die Motivation klar ist, halten uns auch zwischenzeitliche Rückschläge nicht auf. „Wer etwas will, findet Wege, wer etwas nicht will, findet Gründe.“ (Dohm 2020) 

Deine Handlungsmöglichkeiten als Erwachsene: 

  • Informieren, lesen und darüber sprechen (auf der Arbeit, im Sportverein, Freundeskreis oder Familie) 
  • Mut haben sich mit eigenen Ängsten zu konfrontieren. Angst ist ein Signal für Gefahr und gleichzeitig auch Motivator für konkretes Verhalten  
  • Selbst ein gutes Vorbild sein und Emissionen reduzieren 
  • Sich Klimagruppen anschließen und demonstrieren 
  • Einer Partei beitreten und wählen gehen 
  • Strategische Nutzung sozialer Medien -WhatsApp Status, virtuelle Protestaktionen 
  • Leser:innenbriefe schreiben oder die Redaktion kontaktieren 
  • Petitionen starten oder unterstützen (Dohm 2020) 

Wichtig ist jedoch hier auch zu erwähnen, dass sich zu engagieren und nicht wegzuschauen, kann manchmal auch sehr anstrengend sein.  Wenn Ängste überhandnehmen oder man sich überfordert fühlt, sollte man sich professionelle Hilfe suchen. Hier ein Tipp: Es gibt ein kostenloses Beratungsangebot bei Psycholgist For Future. Dort gibt es unter anderem persönliche Beratung, Resilienzcoaching, Konfliktberatung und Hilfe bei der Therapiesuche. 

Wie wir Kindern und Jugendlichen zeigen können, dass sie NICHT hilflos sind

Kinder und Jugendliche sind von vielen Entscheidungen betroffen, die in der Gesellschaft von Erwachsenen getroffen werden. Junge Menschen sind jedoch Expert:innen ihrer eigenen Lebenswelt. Daher gilt es, sie mit einzubeziehen und ihnen so die Chance auf Mitgestaltung und Mitbestimmung zu geben.

Mitbestimmung und Mitsprache helfen auch Kindern mit der Klimakrise zurecht zu kommen.

Aktueller Tipp: Der Kreis Coesfeld hat aufgerufen, bis zum 20. September 2023 Fotos oder selbstgedrehte Kurzvideos zum Thema Kinderrechte einzureichen. Welche Rechte sind dir besonders wichtig und wie werden diese im Kreis Coesfeld umgesetzt? Als Anreiz gibt es für das beste Foto oder Video jeweils ein iPad zu gewinnen. Alle weiteren Informationen gibt es hier. 


Literaturverzeichnis 

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